Von der ersten Sekunde an ein Abenteuer!
Viel härter als der Jakobsweg, sagt einer, der es wissen muss: Klaus Dümmer, 68 und leidenschaftlicher wie erfahrener Jakobspilger. Den Israel National Trail hat er gerade in einem Stück bezwungen und dafür 56 Tage (49 Wandertage und 7 Ruhe-/Besichtigungs-/Waschtage) gebraucht. Von der nächtlichen Bergrettung bis zum nächtlichen Raketeneinschlag hat er alles erlebt, was man sich nur vorstellen kann. Und doch würde er es wohl sofort wieder machen, erzählt er uns hier…
Ein Interview mit Klaus Dümmer, von Christian Seebauer.
Der Israel National Trail: Plötzlich bist du mitten drin!
Christian | Plötzlich wurde es hell in deinem Zelt und es gab in der Ferne eine Detonation? Eigentlich können wir gleich an dieser Stelle aufhören, denn ich möchte meine Leserinnen und Lesern ja für den Israel Trail begeistern und sage immer: Israel ist ein sicheres Land… |
Klaus | Das war in unserem zweiten Night Camp (NC Sheoret). Der sog. islamische Staat hatte vom Sinai vier Raketen Richtung Eilat abgeschossen. Drei flogen exakt und wurden vom Iron Dome, dem israelischen Raketenabwehrsystem, abgeschossen. Die Vierte verfehlte ihr Ziel und flog ziellos in die Berge, wo sie dann wenige Kilometer von unserem N.C. entfernt eingeschlagen ist.
Dennoch: Ich halte Israel für ein sicheres Land. Es kann in jeder großen europäischen Stadt passieren, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort ist und etwas Schlimmes passiert. Und die Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben zu kommen, ist wesentlich höher. Absolute Sicherheit gibt es nirgendwo auf der Welt. |
Christian | Diese Story ist ja genau die, die man garantiert nicht hören oder selbst erleben will. Mit Bedrohungen umzugehen, gehört in Israel jedoch leider zur Realität. Wie groß ist die Bedrohungslage für einen einzelnen Wanderer oder besser gesagt: Wie schätzt du das selbst ein? |
Klaus | Israel ist für Wanderer ein sicheres Land. Die Fahrt mit dem Auto zum Flughafen, um nach Israel zu fliegen, ist statistisch gesehen gefährlicher. |
Christian | Wie gehen Israelis damit um, dass jetzt da gerade eine Rakete in den Bergen eingeschlagen hat? Und: Hat deine Familie zu Hause nicht gesagt, „komm bitte sofort heim?“ |
Klaus | Israelis haben diesbezüglich eine stoische Gelassenheit. So etwas ist nicht Tagesthema. Aber daraus resultiert auch ihre Motivation, enorm wachsam und „gerüstet“ zu sein.
Meine Familie würde so etwas nie sagen. Ich war bereits 2002 während der 2. Intifada in Israel und bin 2012 von Zuhause nach Israel gewandert. Nie ist etwas passiert. Gut, viele andere bescheinigen mir großen Leichtsinn, aber das sind auch meist Pauschal-Urlauber. |
Christian | Und dann noch die Sache mit der Bergrettung? |
Klaus | Der Shvil (Anm. d. Red: Schvil Jisra’el = Israel National Trail oder kurz Israel-Trail und INT) zeigt gleich am ersten Tag seine Faszination und sein Anforderungsniveau. Wir wussten, dass der erste Tag mit seinen 1.000 Hm stressig würde, haben deshalb das schwere Gepäck mit dem Taxi nach oben bringen lassen. So war der Aufstieg eigentlich keine Überforderung.
Aber einer aus unserer Gruppe stürzte, konnte nur schlecht weiter laufen und schnell war klar, dass er es bis Einbruch der Dunkelheit nicht zum NC schaffen würde. Also ist einer von uns bei dem Verletzten geblieben, zwei sind nach oben gestiegen und haben kurz vor Einbruch der Nacht die Polizei verständigt. Nach kurzer Zeit, schon bei völliger Dunkelheit, kam ein Geländewagen angedüst, der ca. 75- jährige Fahrer kurbelte die Scheibe runter und begrüßte mich in bestem Schweizer-Deutsch: „Grüß Gott, ich bin der Alonzo, der Chef der Bergrettung, was ist passiert?“ Alonzo, vor 40 Jahren aus der Schweiz nach Israel eingewandert, ließ sich die Lage erklären, organisierte ein Rettungsteam, das dann wenig später die beiden fand und nach oben zum NC brachte. So konnten wir gegen 23.30 Uhr endlich unsere Zelte aufschlagen. |
Christian | Ein spannender Einstieg also für den Shvil Israel. Aber fangen wir doch von vorne an. Wir beide haben uns auf einem Vortrag über den Shvil Israel dann auch persönlich kennen gelernt. Ich glaube, es war in Witten? Sofort hat uns vieles verbunden. Und Deine Wanderpartner hast Du über Aron Kamphausens Webseite kontaktiert und in Eilat das erste Mal im Leben getroffen? Sie haben Dich bis nach Kibbuz Dan begleitet. Dass aus Fremden durch den Israel Trail eine Art „große Familie“ zusammenwächst, ist schon erstaunlich. Du berichtest davon, dass Du sogar unterwegs Leute aus dem Facebookforum getroffen hast? Was passiert hier gerade? |
Klaus | Man muss schon sagen, dass Aron und Christian etwas ausgelöst haben. Die meisten Wanderer kommen aus Deutschland. In der Nähe von Zikhron kommt uns ein junger Mann aus Kanada entgegen und sagt: „Hi, ich kenne Euch, Ihr seid doch Gerhard, Julia und Klaus. Ich kenne euch aus dem Forum und wollte eigentlich erst mit euch gehen.“ Im Hostel „Green Backpackers“ in Mitzpe Ramon das selbe: Ein junger Mann spricht uns an und sagt, er habe unseren Eintrag gelesen und anfangs überlegt, mit uns zu gehen. |
Christian | Ist der Israel Trail gerade „in“? Vor ein paar Jahren kannte ja in Deutschland fast noch niemand den Shvil. |
Klaus | „In“ ist vielleicht etwas übertrieben, aber viele Wanderer kommen aus Deutschland. Im Gev Holit NC treffen wir den Beduinen und Trailangel Eliahu, einen alten Mann mit langem weißen Bart, der aussieht wie Abraham. Am Lagerfeuer abends fragt er uns streng wie ein alttestamentlicher Prophet: „Wisst ihr, was Israelis und Deutsche gemeinsam haben?“ Mir rutscht das Herz in die Hose, weil ich denke, jetzt werde der Holocaust thematisiert. Aber Eliahu antwortet: „Israelis und Deutsche sind Weltmeister im Individualreisen; die Menschen anderer Länder machen nur Pauschalreisen.“ |
Christian | Muss man Angst haben, überrannt zu werden? |
Klaus | Klar, am Sabbat sind viele Israelis auf dem Shvil, aber in der Woche haben wir nur wenig Wanderer getroffen. Im Gevanim NC und im Small Crater NC tauchen plötzlich um 4 Uhr morgens 5 Reisebusse auf und Hunderte von Schülern bevölkern die Gegend. Kurz von den Pessah-Ferien sind viele komplette Schulen unterwegs, aber die Gruppen absolvieren nur kürzere Rundwege, stören also nicht. |
Der Shvil ist eine traumhafte Herausforderung
Christian | Als Pilger warst Du auf zahlreichen Jakobswegen unterwegs: Der Via Plata, dem Camino de la Costa/ Camino del Norte. Und den Camino Frances hast du mit deiner Frau von Ahlen aus bis Santiago de Compostela beschritten.
Meine Vergleiche zwischen dem Israel Trail und dem Jakobsweg hast du jetzt in einigen Punkten kritisiert… |
Klaus | Auf den Jakobswegen in Spanien findet man in überschaubarer Reichweite Cafés, Refugios, Busstationen. Man trifft alle Altersgruppen, sportliche Menschen und „Couchpotatos“. Viele schaffen den Weg, weil diese Infrastruktur da ist. Ich muss nur den gelben Pfeilen folgen. Der Shvil ist eine andere Herausforderung. Man kann natürlich den Shvil gehen wie den Jakobsweg: langsam, in kleinen Tagesetappen, anspruchsvolle Stellen meiden und die Straße nehmen, aber selbst dann müsste man alles genau organisieren, was viele Jakobspilger überfordern dürfte. Als Jakobspilger muss man auch nicht unbedingt schwindelfrei sein und braucht keine Bergerfahrung. Beim Shvil ist das schon von Vorteil. |
Christian | Wie empfängt man dich in Israel als Deutschen? Oder als Christen? Gibt es Berührungsängste? |
Klaus | Man wird in der Regel sehr herzlich empfangen. Die Leute fragen, warum man gerade nach Israel komme. Wenn sie hören, dass uns das Land interessiert, sind sie begeistert. Junge Schüler sagten auf dem Weg zu mir: „Danke, dass ihr Israel besucht.“
Nicht ganz so alltäglich waren unsere Begegnungen mit ultra-orthodoxen Juden. Mit ihnen kamen wir nur schwer ins Gespräch. Julia, unsere reizende 31-jährige Slowakin und Mit-Wanderin, wurde von den jüngeren vornehm ignoriert. Jungen durften sie nicht ansehen und Ältere gaben ihr keine Hand zur Begrüßung. Das führte auf den engen Gebirgspfaden, wo eine Gruppe orthodoxer Jungen sie überholten, die Augen geschlossen oder die Hände vor den Augen haltend, obwohl alle gerade am Abhang entlang gingen, zu einer für uns sehr ungewohnten Begegnung. Man darf daraus aber keine falschen Schlüsse ziehen: Ultra-Orthodoxe haben uns als Trailangel in ihre Häuser eingeladen und bewirtet. |
Christian | Bedeutet Dir Gott etwas? Findet man ihn am Weg? Oder anders gefragt: Was passiert mit einem, wenn man zwei Monate lang zu Fuß durch das Heilige Land läuft? |
Klaus | Auch hier kann ich nur sehr persönlich antworten. Viele Passagen des Weges sind so anspruchsvoll, dass man sich eher auf das Klettern und Gehen konzentrieren und nicht in Meditation versinken sollte. Dennoch: Diese wunderbare alttestamentliche Geschichte vom Exodus, vom Auszug der Juden aus Ägypten, vom Weg der Israeliten durch die Wüste begleitet mich auf Schritt und Tritt. Wenn man so richtig müde und kaputt durch die Wüste trottet, dann erfährt man: Du bist nicht allein, da geht jemand mit dir und hält die Hand über dich, zeigt dir in der Rauch- oder Feuersäule den Weg, kühlt dich mit Lufthauch, schläft nicht im tollen Tempel oder der Kathedrale, sondern baut sein Zelt neben dir auf und führt dich zum Ziel. Diese uralten Geschichten werden plötzlich total aktuell. Ähnliche Gedanken stellen sich ein, wenn man in Galiläa in den Fußspuren Jesu geht. |
Christian | Ich werde immer wieder einmal – oft auch ohne Namen – gefragt, ob man den Israel Trail auch gehen kann, wenn es einem schlecht geht. Viele spielen dabei wohl gar nicht so sehr auf die körperliche Verfassung an, sondern kämpfen womöglich mit seelischen Schmerzen. Kann man loslassen, das draußen? |
Klaus | Ja, man kann, aber nur, wenn man den Weg anders geht als wir. Aus unterschiedlichen Gründen wollten wir unbedingt als Gruppe in 2 Monaten den gesamten Saar-Weg gehen. Dazu war große Disziplin nötig: früh aufstehen, lange Märsche, planen und absprechen in der Gruppe, einkaufen, Trailangel anrufen, persönliche Interessen zurückstecken.
Ab Arad hätten wir auch allein gehen können und –bei kürzeren Etappen – loslassen können. |
Christian | Du gehörst nun zu den wenigen, die bisher den Shvil komplett und in einem Stück durchwandert sind. Wie „hart“ muss man sein, das bis zum Ende durchzuziehen? |
Klaus | Vieles ist oben schon gesagt. Wir waren deshalb eine so tolle Truppe, weil wir im Kopf klar hatten, was wir wollten. Und die entscheidenden Dinge spielen sich im Kopf ab. Julia (31) und Gerhard (59) waren natürlich körperlich fitter als ich (68) und haben oft auf mich Rücksicht genommen.
Deshalb mein Tipp an Shvil-Interessierte: Wartet nicht, bis ihr 70 seid! |
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Härter als der Jakobsweg. Und jeden Meter wert!
Von der ersten Sekunde an ein Abenteuer!
Fotos (c) Klaus Dümmer und
Foto “Iron Dome” mit freundlicher Genehmigung von Aron Kamphausen
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Maier und Julia
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NC = Night Camp