Von Santiago bis Jerusalem: „Aufgeben war nie ein Thema!“
Pilgern: Es gibt Dinge, die müssen andere nicht verstehen. Man macht sie, weil man an etwas glaubt. Oder weil man etwas sucht und finden möchte. Oder weil man einfach danke sagen will. Es ist nicht leicht, anderen zu erklären, weshalb man dann mal weg ist. Und nicht immer muss man anderen etwas erklären. Denn jeder hat seinen ganz eigenen Weg. Über den eigenen Weg möchte ich heute mit Paul Silberbaur sprechen, der Jerusalem nach über 5.000 Kilometern mit dem Fahrrad erreicht hat.
Paul Silberbaur mit dem Rad am Col d’Aubrac im südwestlichen Zentralmassiv in Frankreich
Christian
Paul, Du hast eine unglaubliche Reise hinter Dir. Begonnen hat alles…
Paul
… damit, dass ich im Jahr meines 60. Geburtstags (2007) nach Rom geradelt bin zum Grab meines Namenspatrons. Zwei Jahre später pilgerte ich dann nach Lourdes. Dabei stellte ich fest, dass die Pilgerfahrten einen stärkeren Tiefgang hatten, als die anderen Ferntouren, die ich jährlich davor und danach machte, Und so entstand der Wunsch, auf mehreren Etappen noch nach Jerusalem zu fahren.
Christian
Du hast ja nie aufgegeben und bist schließlich in Jerusalem angekommen?
Paul
Aufgeben war nie ein Thema, obwohl ich schon zwischendurch manchmal meine Mission hinterfragt habe, wenn die Anstrengungen grenzwertig wurden. So musste ich z. B. meine 2018 vorgesehene Route abkürzen, weil ich wegen einer vorangegangenen Virusgrippe noch nicht fit genug war und auch ständig Plattfußprobleme hatte. So hatte ich mich damals entschieden, dass ich von Madaba nicht weiter bis zum Roten Meer bzw. zurück durch die Negev-Wüste fahre. Ich kürzte ab und fuhr hinunter zum Toten Meer und kam dann über Jericho schließlich in Jerusalem an. (Mit meinen 71 Lenzen war ich ja auch nicht mehr der Jüngste…)
Grafik Jerusalemweg mit freundlicher Genehmigung von Johannes Aschauer, mehr dazu auf der Webseite https://www.jerusalemway.org/
Die Kathedaral von Burgos
„Man braucht den Willen zum Aufbrechen“
Christian
Paradox: Die meisten können sich eine lange Reise nicht vorstellen, weil man da ja ausbrechen müsste. Dennoch träumen ganz viele von einer Pilgerreise und können sich sehr wohl vorstellen, selbst zu wandern (oder Fahrrad zu fahren). Was würdest Du denen sagen?
Paul
Ich bin schon als Jugendlicher mit Freunden in der damaligen KJG (Anm. d. Red.: Katholische Jjunge Gemeinde) viel unterwegs gewesen, u. a. 1965 Wanderung in Lappland, 1966 Türkei und 1968 Nordkap per VW-Bus. Später auch per Landrover durch Island und immer wieder Wanderungen.
Und Kanutouren in Finnland und Schweden. In den 80er und 90er Jahren bereiste ich dann mit mit meiner damaligen Frau per Campingbus ganz Westeuropa. Ich hatte also schon sehr früh das Reisefieber aufgesogen und schon immer alle Reisen mit- oder selbst geplant. Reisen und vor allem das Pilgern bringen viel Erfahrungen mit sich, stärken das Selbstvertrauen und helfen mit, Alltagsprobleme und Sorgen leichter zu meistern. Ich möchte nicht sagen, dass man dazu „ausbrechen“ müsste. Man braucht den Willen zum Aufbrechen, zum Tun und dann das Vertrauen zu Gott, dass alles klappen und gut gehen wird.
Christian
So unterschiedlich die Gründe zum Pilgern auch sein mögen, so hört man doch immer wieder ganz ähnliche Motive heraus. Welche sind Dir selbst begegnet, welche Motive kennst Du, dass sich ein Mensch eines Tages aufmacht?
Paul
Viele sprechen ja von sogenannter „Selbstfindung“. Das ist für mich nie der Grund gewesen. Ich kenne mich und habe mich schon mit jungen Jahren für meinen Lebensweg entschieden, den ich nie bereut habe – obwohl ich sehr viele Holperstufen zu meistern hatte. Eine große Holperstufe war die Insolvenz meiner Firma, die mich schließlich zum Pilgern brachte. Meine Pilgerung auf dem Jerusalemweg bezeichne ich ja als meine „Lebens-Danke-Wallfahrt“. Ich habe es mit Hilfe des Himmels geschafft, aus tiefen Depressionen wieder herauszukommen und habe mein Selbstwertgefühl wieder zurück erhalten, obwohl ich alle Sachwerte verloren habe und heute mit staatlicher Hilfe und der sogenannten Grundsicherung klar kommen muss. Dies ist für mich jedoch kein Problem. Im Gegenteil: Ich freue mich und anerkenne es, dass ich diese monatliche Finanzhilfe bekomme und sage jedes mal „Danke“ dazu!
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Paul angekommen in Jerusalem. Die Gefühle kann man kaum in Worte fassen
Vom Ende der Welt („Finisterra“) bis nach Jerusalem
Christian
Vom Ende der Welt („Finisterra“) bis nach Jerusalem. Durch welche Länder bist Du gekommen? Wie unterschiedlich sind die Menschen? Und was verbindet sie, wenn Du ihnen als Pilger begegnest?
Paul
Zunächst bin ich ja von meiner Heimatstadt Weißenhorn gestartet und auf drei Etappen in Jerusalem angekommen. Dabei kam ich auf dem ersten Abschnitt durch
Österreich
Ungarn
Kroatien
Serbien
Kosovo
Mazedonien und
Griechenland
Die zweite Etappe ging von
Thessaloniki in Griechenland durch die
Türkei bis Adana, nahe der syrischen Grenze.
Zum letzten Teilstück flog ich nach
Tel Aviv in Israel und radelte
am Mittelmeer bis Haifa,
hoch nach Nazareth und
um den See Genezareth.
Von dort nach Jordanien, wo ich an der Grenze zu Syrien wieder auf den von dort kommenden Jerusalemweg stieß.
Über Jerash
Irbit
Amman und
Madaba dann hinunter und hinüber nach
‚Palästina‘ und schließlich wieder
Israel
-> Ankunft in Jerusalem.
Weil aber der Jerusalemweg in Finesterre am Atlantik beginnt, radelte ich dann letztes Jahr noch vom „Ende der Welt“ über Santiago de Compostela durch
Nordspanien
Frankreich
Schweiz
zurück in meine Heimatstadt.
Dabei bedient sich der Jerusalemweg meist der Infrastruktur des Jakobsweges. Die Menschen haben natürlich überall ihre landestypischen Gewohnheiten und leben danach. Das war schon ein besonderes Erlebnis, diese unterschiedlichen Landstriche zu durchqueren und die Menschen mit ihren verschiedenen Religionen zu erleben. Ich erntete bei allen Begegnungen und Gesprächen Wertschätzung, Verwunderung und Bewunderung, und immer uneingeschränkte, freundliche und freundschaftliche Hilfestellungen!
Insgesamt habe ich 7.804 km zurückgelegt vom Atlantik bis Jerusalem.
Christian
Anstrengungen und Schrecksekunden ?
Paul
Da waren natürlich die vielen und sehr langen Schiebestrecken auf dem Balkan, im türkischen Taurusgebirge, in Jordanien und in den Gebirgen Nordspaniens sowie im französischen Zentralmassiv. Es gab Sreckenabschnitte, wo ich zwischen 38 und 42 Grad ganze Tageslängen geschoben habe und stündlich 1 Liter Wasser trinken musste. Eine Schrecksekunde ist mir entstanden, als nach meiner Ankunft im Airport von Tel Aviv mein Bordrucksack nicht mehr da war, mit allem Geld, Ausweispapieren und vielem Anderem. Nach dem Ausfüllen von Fragebögen, vielen Gesprächen und Stunden voll Bangen und Hoffen habe ich ihn dann doch wieder zurück bekommen! (Lacht) Da konnte man einen total glücklichen Paul erleben!
In den Weiten der Landschaft wird man als Pilger sehr klein und unbedeutend
Pilgern am Jerusalemweg: Übernachtung in einem Bewirtungspavillion im Taurus-Gebirge über dem Göksu-Tal Nähe Alahan, einer frühchristlichen Siedlung
Jerusalemweg in Jordanien: Vom Mount Nebo geht es weiter und hinunter zum Toten Meer
Jerusalemweg Israel: Blick von Old-Jaffa auf die moderne Stadt Tel Aviv, gepacktes Fahhrad mit Landkarte von Paul auf seiner Pilgertour
„Das allerschönste Erlebnis war (…) mein Ankommen und mein Aufenthalt in Jerusalem“
Christian
Dein schönstes Erlebnis?
Paul
Dazu zählt natürlich auch die vorher erzählte Geschichte. Ansonsten hatte ich sehr viele schöne Erlebnisse, die meist durch hilfsbereite Menschen zustande kamen. Bei meiner Fahrt durch Anatolien kam ich nach langer Fahrstrecke ziemlich geschafft zu einer Tankstelle, wo ich was trinken wollte. Der Inhaber saß vor dem Tankhäuschen auf einer Bank. Ich hielt vor ihm an und sagte: „Hundert Liter Diesel…!“ Worauf er in breitestem Schwäbisch antwortete:“Ka´sch hau..! Auf meine Frage, woher er das Schwäbisch habe, erzählte er mir, dass er im nächsten Ort meiner Heimatstadt 38 Jahre gewohnt und gearbeitet und jetzt hier die Tankstelle seines verstorbenen Onkels übernommen habe…
Das allerschönste Erlebnis war allerdings mein Ankommen und mein Aufenthalt in Jerusalem!
„… mit 68 bin ich zur ersten Etappe aufgebrochen“
Fahrradpilger Paul Silberbaur auf seinem Jerusalemweg, hier mit Blick vom Ölberg in Jerusalem
Christian
Paul, persönliche Frage: Muss man eigentlich reich und selbstständig sein, um sich eine solche Auszeit leisten zu können? Oder muss man warten bis zur Rente und dann hoffen, dass man noch gesund ist? Wann ist die beste Zeit, um aufzubrechen?
Paul
Während meiner aktiven Selbständigkeit (ich hatte ein relativ großes Küchenstudio) konnte ich nicht länger wie 2 Wochen plus vorangehende Tage wie Donnerstag, Freitag, Samstag vom Betrieb abwesend sein.
Da kam ich immer sonntags zurück und war dann schon am Abend in der Firma, um zu sichten, was mich ab Montag erwartet. Mit 67 war dann Ende und mit 68 bin ich zur ersten Etappe aufgebrochen, bei der (und den folgenden) ich immer zwischen 5 ½ und 7 ½ Wochen weg war. Das hat mit „reich sein“ nichts zu tun. Ich habe ja vorher meine finanzielle Situation geschildert. Als Pilger übernachte ich in der Regel in einfachen Unterkünften oder in meinem Zelt. Auch die anderen Ausgaben sind auf der Radreise relativ günstig. Finanziert habe ich die Unternehmungen mit meinen Vorträgen, wo ich immer Spenden erhalte; dazu erhielt ich immer finanzielle Unterstützung von Freunden und Bekannten.
Christian
Was hat eigentlich Deine Frau dazu gesagt?
Paul
Eine Frau gibt es nicht. Dieses Thema ist auch unter den „Holperstufen“ meines Lebens einzuordnen. Ich hatte zwei Ehen und eine Lebenspartnerin. Seit über 20 Jahren lebe ich allein. Hier in meinem Wohnhaus ist ein Blumenladen. Mit der Inhaberin und einem Teil der Floristinnen habe ich eine Art ‚“Wohngemeinschaft“. Wir essen mittags zusammen und ich bin dort als „15. Nothelfer“ eingebunden. Diese Mädels und viele Freunde aus meinem Freundeskreis und Männerchor sind schon immer sehr besorgt um mich und erfreut, wenn ich wieder zuhause bin! Mein Sohn aus erster Ehe ist Arzt an einer Anthroposophischen Behinderteneinrichtung, hat Familie mit fünf Kindern und wohnt am Eingang zum Schwarzwald. Wir sehen uns daher (und weil ich auch kein Auto mehr besitze) nur 2 – 3 mal pro Jahr. Sie sind aber auch „gefühlt“ immer mit mir unterwegs und freuen sich natürlich, wenn Opa wieder gut zurück ist.
Frohe Pilgerrunde in einer Pilgerunterkunft am Jakobsweg in Frankreich
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Unter Pilgern: „Heute (…) selbstverständlich, dass ich (…) per Du bin“
Christian
Was mich viele hier schon gefragt haben, warum ich mit allen hier per Du bin. Die Welt unter Pilgern, Naturliebhabern, Sportfreunden, Israelliebhabern ist es doch wert, oder?
Paul
Das sehe ich genau wie Du! Während meiner beruflichen Zeit war ich mit Kunden und Mitarbeitern natürlich per Sie unterwegs und habe das Du relativ gering zugelassen oder angeboten. Heute ist es für mich selbstverständlich, dass ich mit den Menschen in den von Dir oben beschrieben Gruppen und Kreisen per Du bin. (Statt Sportsfreunden sind es bei mir meine Sangesfreunde.) Wesentlich dazu beigetragen haben hier meine Pilgerreisen, die ja jedes mal vorher und nachher von beiden hier erscheinenden Tageszeitungen redaktionell begleitet wurden. Und dann habe ich ja Anfang dieses Jahres beim Neujahrsempfang der Stadt Weißenhorn die Bürger-Ehrenmedaille erhalten, was meinen „Bekanntheitsgrad“ als Stadtführer und Mitglied des Pfarrgemeinderats und „Weißenhorner Original“ noch weiter erhöht hat.
Christian
Hat sich Dein Freundeskreis eigentlich verändert? Kann man durch einen neuen Weg Freunde verlieren? Und neue gewinnen? Was sind Deine Erfahrungen?
Paul
Aus meiner Zeit bei der damaligen KJG bestehen bis heute noch zwei Freundeskreise, in denen man sich immer noch monatlich trifft. In einem der beiden bin ich sehr stark verwurzelt Trotz relativer Konservativität haben sie die durch meine Scheidungen bedingten Veränderungen immer mitgetragen und haben mich immer akzeptiert, auch in der Zeit der Insolvenz und danach! Sie haben auch meine Pilgerungen finanziell unterstützt und mitgetragen. Es haben sich aber auch neue Freundschaften ergeben. Einmal durch meinen Vorsitz und meine Aktivitäten im Männerchor Liederkranz, durch meine vielen Vorträge und natürlich auch durch die anderen Aktivitäten. Und nicht zu vergessen: Meine Pilgerfreunde Johannes Aschauer, Hans Grasser und viele andere, auch „von den Strecken“ und auch Du, obwohl wir uns noch nicht persönlich kennen!
Christian
Das Universum verbindet uns beide doch auf eine ganz wunderbare Art und Weise! Ich habe Freunde, mit denen verbindet mich viel weniger, als mit Dir. Wenn ich zu Dir sage „Shalom, wie geht es Dir„, oder Du mit mir telefonierst oder schreibst, dann geht mir das immer sehr nahe und das gibt es doch sonst im richtigen Leben nur ganz selten!
„Es gibt keinen Zufall“
Persönlicher geht es kaum: Handschriftliche Notizen vom Pilgern und der Erlkenntnis „Es gibt keinen Zufall“
Pilgern am Jerusalemweg mit dem Fahrrad: In den Quartieren oder am Wegesrand gab es immer frische Blumen für meine Vase am Rad, Paul Silberbaur
Christian
Paul, was mich bedrückt ist die mangelnde Achtsamkeit in unserer heutigen Welt. Schon kleine Kinder werden durch unserer Schulsysteme gejagt, oft begleitet von größten Ängsten. Sinn und der Glaube an sich selbst bleiben heute schon früh auf der Strecke. Muss man erst alt sein, um los zu kommen, oder sollte man schon früh damit beginnen, sich „auf den Weg“ zu machen?
Paul
Das ist eine Entwicklung, die ich auch so sehe! Es geht (ging bis jetzt) allen sehr gut, vielleicht zu gut!? Da braucht man keinen Herrgott mehr (das ging mir zu „guten Zeiten“ genauso), die umgebende Gesellschaft hat so viele Einflüsse und prägt die Menschen. Dazu kommt der Druck in den Schulen und vor Allem auch der Druck aus der Wirtschaft. Rationalisierungen und Kosteneinsparungen werden meist auf dem Rücken der Mitarbeiter, der Menschen (!), ausgetragen. Vielleicht kommt nach Corona doch ein gewisses Umdenken? Auch die generationsübergreifenden Verbünde gibt es kaum mehr. (Früher wohnten drei Generationen zusammen, waren auf sich angewiesen und haben sich gegenseitig ergänzt und geholfen. Dies ist momentan ein Thema für meinen Verein und Chor, in dem ich an einem Intergenerativen Konzept arbeite, um Familien und Singles generationsübergreifend zusammen zu bringen.
Mit Freude erlebe ich bei der Familie meines Sohnes das Gegenteil. Geprägt durch ihr Umfeld, und wohl auch Waldorfschule, haben sie einen ganz anderen Bezug zu Natur und zu Familienleben. Mein Sohn und Schwiegertochter sind übrigens auch schon (damals noch getrennt, weil nicht gekannt) auf dem Jakobsweg gepilgert bis Santiago. Mit ihren Kindern sind sie auch schon seit einigen Jahren (der Kleine war damals 2 Jahre) jährlich 2 Wochen pilgernd unterwegs auf den Jakobswegen in Baden-Württemberg. Meine eigene Erfahrung aus der Jugend und dieses Beispiel zeigt doch auf, dass es wohl Vorteile hat, wenn man solche „Gene“ schon frühzeitig vermittelt bekommt…!?
Christian
Pilgern können viele ein wenig nachvollziehen. Aber schließlich regnet es dann auch einmal, man wird vielleicht krank. etwas geht kaputt oder man kommt ganz einfach auch psychisch an seine Grenzen. Meine Tante hat mich einmal gefragt: Warum tut man sich all das eigentlich an?
Paul
Meine Sängerfreunde sagen immer, dass sie sich fragen, welche schwere Sünden der Paul wohl abbüßen müsse, dass er solche Pilgerfahrten machen muss? Daraus entnehme ich schon auch, dass das Pilgern nicht unbedingt von allen verstanden wird, auch wenn es Freude bereitet. Und auch von den vielen Jakobsweg-Pilgern sieht man ja die wenigsten in den am Weg liegenden Kirchen, sie sind ja meist auf der Suche nach sich selbst…? Als Fuß- oder Fahrradpilger weiß man natürlich, dass es nicht nur Sonnenscheintage gibt oder dass man mal einen Unfall haben kann oder krank wird (z. B. Durchfall). Ich habe mich auch schon ab und zu gefragt, warum und wieso? Das sind aber meist nur ganz kurze Phasen. Die vielen positiven Erfahrungen und Eindrücke, die man macht und gewinnt, überwiegen ja bei Weitem die wenigen „nicht ganz so Schönen“.
Christian
Männer dürfen nicht weinen! Frauen natürlich auch nicht. Denn Schwäche zeigen geht in der heutigen Welt überhaupt nicht. Themen wie Depressionen sind auch heute noch so gut wie Tabu, zumindest tendiert das Wissen darum selbst in meiner eigenen Familie eher gegen Null. Darf man da draußen in der Natur wenigstens Gefühle zeigen?
Paul
Ich habe ja schon solche Zeiten durchlebt und hatte das Gefühl, dass ich beim Einkaufen beim Bäcker beobachtet wurde mit der Meinung „ach so schlecht kann´s ihm ja nicht gehen, er kann sich ja noch 2 Semmel kaufen…
Die Einstellung „Männer dürfen nicht weinen“ ist mir zwar bekannt. Ich persönlich habe jedoch ein „weiches Herz“ und neige sehr dazu, schnell weinen zu müssen. Dazu kann ich aber (zwischenzeitlich) auch stehen. Das sehe ich heute als meine total eigene Sache und schäme mich auch nicht (mehr) dafür.
Anfang oder Ende der Welt: Finisterra am Jakobsweg
Christian
Auch zu Hause würde ich ab und zu gerne mal reden. Aber schnell kommt dann ein „Aber DIR geht es doch gut“, gefolgt von der ewig gleichen Geschichte der anderen. Mitten in der Wüste Negev bin ich auf Menschen gestoßen, die mir etwas über sich erzählt haben, aber denen ich auch einmal etwas über mich erzählen konnte. Manche in Israel wissen mehr über mich, als meine besten Freunde. Verrückt, oder?
Paul
Ich glaube, das ist schon ein bisschen „deutsche Haltung“. „Wie es da drinnen aussieht, geht niemand was an…“ Oder es ist eben auch ein Spiegelbild unseres guten Lebens. Viele Leute erzählen ja nach drei Wochen Urlaub nur vom angeblich schlechten Essen und den Staus auf der Hin- und Rückreise. Ich frage dann immer, ob es denn gar nicht schön war bzw. ob sie denn gar nichts Schönes erlebt hätten?
Die Menschen in Israel leben mit der täglichen Gefahr seit Jahrtausenden und wissen vielleicht das Gute anders zu werten. Vielleicht können sie deshalb auch besser zuhören und Anteil nehmen am Innenleben ihres Gegenüber.
Christian
Paul, was bedeutet „Pilgern“ für Dich? Und, wir würdest Du den Begriff auslegen, um auch Andersgläubige nicht zu verprellen?
Paul
Darauf ist es nicht leicht zu antworten. Ich für mich sehe es als ein Danke-Sagen für mein ganzes bisherige Leben. Dazu gehört auch das Negative, denn es hat mich auch verändert oder zu etwas verholfen. (Das muss man allerdings auch so sehen und akzeptieren können) Ich habe wieder gelernt, dass es ohne einen Gott nicht geht und beim Pilgern habe ich Gelegenheit, ungestört vom Alltag, diesem Gott für seinen immerwährenden Beistand zu danken. (Einen Gott haben ja auch Andersgläubige). Entscheidend ist doch, ob ich meinen Gott wahrnehme und auch brauche.
Hier ist, so glaube ich, die Krux: Man hat sich ja schließlich alles selbst erarbeitet und den Wohlstand schließlich selbst verdient. Man kennt ja gar nichts Anderes. Wo war da bitte ein Gott?
Als Pilger ist die Ferne Dein Ziel!
Übernachten im Freien oder im Zelt gehört unbedingt dazu!
Die Landschaft ändert sich, alles ändert sich, man kommt dem Glück nahe!
Christian
Viel waren ja noch nie im Leben in Israel, wie würdest Du das Land und die? Menschen beschreiben?
Paul
Für mich war es schon etwas Besonderes, nach Israel zu kommen. Zunächst zu erleben, wie sich gläubige Juden kleiden und verhalten. Das sieht man bei uns ja eher seltener. Dann zu wissen, dass man im Land des Volkes ist, dem wir unter Hitler so viel Unrechtes angetan haben. Auch zu wissen, dass man sich in einem Land befindet, das keinen Frieden kennt und hat und dass man auch keinen Weg sieht, wie sich die Problematik zwischen Palästinensern und Israelis regeln lässt. Und dann habe ich, durch meinen Aufenthalt bei Liel, auch erlebt, welche harte Einstellung bei den Israelis vorhanden ist bezüglich des Lebens und der Rechte von Palästinensern.
Auch wird unser Umgang mit den arabischen Staaten doch sehr hinterfragt. Nun, es ist ein Volk, das schon immer „im Kampf“ gelebt hat, immer misstrauisch sein musste gegenüber anderen Völkern. Diese Stimmung habe ich dort so erlebt und das hat mich auch bedrückt.
Pilgern mit dem Fahrrad: Die letzte Tagesetappe am Jerusalemtrail von Paul Silberbaur vom Jordantal hinauf nach Jerusalem
Christian
Camino de Santiago, Israel-Trail, Jesustrail, Jerusalemtrail… alles nur heutige Namen für uralte Fußpfade und Strecken, die schon vor Jahrtausenden in unterschiedlichen Varianten begangen wurden. Welche Gedanken macht man sich eigentlich, wenn man da draußen viel Zeit hat?
Paul
Mein Großvater war vor dem Weltkrieg auch schon als Pilger in Jerusalem. Ein Onkel war wegen seiner Krankheit in den 60 er Jahren mehrmals als Pilger in Lourdes. So bin ich schon früher immer wieder mit dem Thema konfrontiert worden. Dem Pilgern bin ich, nach meinen Touren nach Rom und Lourdes, im Buch von Johannes Aschauer und jetzt durch Jakobsweg-Literatur begegnet. Durch das Lesen bekommt man ja vermittelt, welche Gründe zur Entwicklung des Pilgerns, vor Allem nach Jerusalem und zum Jakobsgrab, geführt haben. Zwischenzeitlich habe ich mich tiefer eingelesen in diese Thematik, auch zu anderen Pilgerstätten. Insgesamt versteckt sich für mich dahinter ein riesiger Glaube, Sehnsüchte aller Zeiten unserer Geschichte. Es scheint ein Bewegen, ein Leben in eine und in einer anderen Welt zu sein… Unwillkürlich kommen Gedanken an die damaligen Pilger und die damaligen Umstände, unter denen sie unterwegs waren. Wie haben sie sich ernährt, wo haben sie geschlafen? Wie waren die Wege, die Brücken? Welche Strapazen haben sie, im Gegensatz zu heute, auf sich genommen?
Christian
Paul, was bedeutet Dir das ehrliche Lachen oder eine Umarmung eines völlig fremden Menschen unterwegs?
Paul
Das zähle ich zu den schönsten Erlebnissen. Gerade die uneingeschränkte Offenheit bei solchen Begegungen ist das, was uns im Alltagsleben verloren gegangen ist.
Pilgerweg und Totes Meer: „Das Salzwasser im Toten Meer trägt sogar einen 115-Kilo-Pilger“
Christian
Was bedeutet Dir Natur? Und was bedeutet der Gegensatz zwischen Straße und Natur?
Paul
Nun, Natur ist zunächst das Natürliche, das Gewachsene, das Ursprüngliche. Das Typische für die Region. Die Straße kommt aus Menschenhand und ist in Spanien gleich wie in der Türkei oder in Israel. Als Fahrradpilger wünscht man sich sehr oft mehr Naturnähe, da das Fahren im Straßenverkehr unangenehm und mit vielen Gefahren verbunden ist.
Christian
Eine Pilgerreise ist kein All-inklusive-Ausflug mit Vollpension. Ich möchte leichtfertige, respektlose und naive Pilger-Touris an dieser Stelle auch einmal etwas zum Nachdenken bewegen. Reden wir doch einmal über Verzicht, Entbehrungen. Wie hart kann der Alltag unterwegs werden? Wie wichtig ist dabei der Kopf?
Paul
Wenn man als Pilger unterwegs ist, ist man grundsätzlich bereit, über eine gewisse Zeit mit weniger Luxus zurecht zu kommen. Es ist auch das Schöne am Pilgern, dass man bewusst in einfacheren Unterkünften nächtigt, mit einfacher Kleidung angezogen ist, sich bewusst auf ein Leben ohne großen Komfort einstellt. Ich denke, dass man sich damit auch eine Art Buße auferlegt, was ja schließlich auch Sinn von Pilgern ist.
Das einfachere Leben öffnet gleichzeitig aber auch den Blick auf Dinge, die man sonst im Alltag gar nicht (mehr) wahrnimmt.
Christian
Gut. Andersherum: Eine längere Tour machen kann jeder, der…
Paul
bereit ist, Entbehrungen und Überraschungen hinzunehmen, der aber auch körperlich so fit ist, um sich den damit verbunden Herausforderungen und Anstrengungen stellen zu können. Das gilt für Fußgänger wie für Radfahrer.
Christian
Welche Touren hast Du in Deinem Leben schon so gemacht? Was ist im Gedächtnis geblieben?
Paul
Mit dem Fahrrad: vom Ruhrgebiet bis Hamburg/ Main-Radweg/ Elbe-Radweg/ Über den Schwarzwald zum Rhein, weiter an Saar und Mosel durch Luxemburg und Belgien bis zur Nordsee/ Oder-Neiße-Radweg/Weinradweg Pfalz Mur-Radwegund die vorgenannten Pilgertouren. Im Gedächtnis geblieben sind mir insbesondere alle vier Etappen auf dem Jerusalemweg, die Wanderung mit Karte und Kompass durch Finnisch Lappland und die Türkei-Fahrt 1966 mit dem VW-Bus.
Aber auch die vielen Reisen mit dem selbst ausgestatteten Campingbus durch ganz Westeuropa waren große Erlebnisse, da diese auch mit Wanderungen und Kanutouren unterbrochen waren. Und immer waren und sind es die Menschen, die man trifft, mit denen man sich unterhält und teilweise heute noch Kontakte hat.
Christian
Paul, viele wissen gar nicht, dass unsere christlichen Wurzeln JÜDISCH sind. Wenn man heute jüngeren Leuten in Berlin sagt, Jesus war ein Jude, dann lachen da manche und „checken“ rein gar nichts…
Paul
Das liegt sicherlich an der Oberflächlichkeit, mit der die meisten Menschen heute unterwegs sind. Shoppen, konsumieren und überall dabei sein. Bloß keine Verpflichtungen eingehen und sich Gedanken machen um Dinge, die einen nicht tangieren.
Jakobsweg und Jerusalemweg: Weinberge in Franreich grüßen den Fahrradpilger
Christian
Paul, Du machst ja auch Vorträge. Wo kann man Dich (nach Corona) sehen?
Paul
Es sind verschiedene Vortragstermine jetzt ausgefallen bei kirchlichen Seniorengruppen, Kolping und VDK, die irgendwann nachgeholt werden müssen. Den neuen Vortrag werde ich, so bald wie möglich, hier in Weißenhorn im Pfarrgemeindehaus öffentlich halten, dann auch bei den Weißenhorner Fotofreunden (mit Alpenverein). Termine gibt es noch keine, teile sie Dir aber gerne mit!
Christian
Paul, zum Schluss möchte ich Dich noch fragen, was Dir Glaube bedeutet. Wie würdest Du das z.B. jemandem erklären, der selbst keinen Zugang dazu hat, aber im Leben auf der Suche nach sich selbst ist?
Paul
Mit dem letzteren Begriff kann ich nicht allzu viel anfangen; das habe ich schon eingangs und später erwähnt. Mir bedeutet Glaube heute wieder sehr viel, weil ich weiß, dass ich ohne die Hilfe unseres Herrgotts und Mariens die schwierigen Zeiten nicht durchgestanden hätte, vielleicht sogar nicht mehr leben würde.
Christian
Unsere Israel-Trail-Webseite betreiben wir ehrenamtlich, verbunden mit dem Wunsch, anderen auf ihren ersten Schritten auf zu eigenen Wegen ein paar Orientierungen zu geben. Aber auch Israel selbst und seine Menschen haben sich eine viel bessere Presse verdient, oder?
Paul
Die Israel-Trail-Webseite finde ich sehr informativ und begeisternd! Israel selbst und seine Menschen verdienen sicher eine gute Presse. Dass es dort irgendwann eine Lösung mit Palästina geben und endlich Frieden einkehren möge, ist mir eine Herzensangelegenheit. Allerdings wird die Einstellung der Israel. Regierung hier nicht immer verstanden, dazu müsste man mehr aufklären oder sich für das Land interessieren.
Christian
Wer denkt, eine Pilgerreise sei aus diesem oder jenem Grunde nicht möglich, dem würdest Du wünschen…
Paul
Eine echte Pilgerreise sollten noch viel mehr Menschen machen. Vielleicht würden sich dann die Menschen anders begegnen und lernen, auf manche „Annehmlichkeiten“ verzichten zu können.
Bewegende Eindrücke am Jerusalemweg: „Das andere Bethlehem“ – Graffity „MAKE HUMMUS – NOT WALLS“
Über Paul Silberbaur:
Geboren 9. Januar 1947 in Weißenhorn
Schule: Oberrealschule
Kaufmännische Ausbildung zum Holzkaufmann
mit 17 Jahren Eintritt in elterlichen Betrieb (Schreinerei mit Möbelhandel) mit 21 Jahren Übernahme des verschuldeten Betriebs/Beg. Selbständigkeit
Umstrukturierung in ein Küchenstudio
1990 Gründung Filiale Ulm
1992 Beteiligung an Küchenstudio in Olching
1995 Bezug des Neubaus in Weißenhorn
2013 Insolvenz
2014 Ende der Berufszeit
Ehrenämter:
35 Jahre Feuerwehrmann in leitender Funktion
20 Jahre in der Vorstandschaft einer Einkaufskooperation
6 Jahre Vorsitzender des Gewerbeverbands Weißenhorn
3 Jahre Mitglied der Vollversammlung IHK Augsburg
Heute:
Stadtführungen in der Fuggerstadt Weißenhorn
Mitglied im Museumsverein
Vorsitzender eines Männergesangvereins
Mitglied im Pfarrgemeinderat, Pressesprecher
Vorträge über Fahrrad-Pilgertouren
2o20 Auszeichnung mit Bürger-Ehrenmedaille der Stadt Weißenhorn
Motto:
„Ein tiefer Fall führt oft zu höherem Glück (Shakespeare)“
Johannes Aschauer:Auf dem Jerusalemweg: Eine außergewöhnliche Pilgerreise: Aus dem Herzen Europas zu Fuß nach Jerusalem (Deutsch) Gebundene Ausgabe
4.500 km beträgt die Strecke von Oberösterreich bis nach Jerusalem! Drei Männer machten sich im Juni 2010 auf den Weg und gingen diese unglaubliche Strecke zu Fuß und trafen nach sechs Monaten am 24. Dezember in Bethlehem und schließlich am 26. Dezember in Jerusalem ein. Johannes Aschauer, Otto Klär und David Zwilling zwei Polizisten und ein ehemaliger Schirennläufer und Abfahrtsweltmeister waren auf dieser außergewöhnlichen Pilgerreise. Auf ihrer Reise folgten sie den Spuren der Kreuzzüge, wandelten auf den Wegen des Apostels Paulus und den historischen Pilgerpfaden durch 10 Länder in das Heilige Land Israel: Dieses Buch berichtet über ihren Weg, gibt Einblicke rund um das Thema Pilgern im Allgemeinen und erzählt eindrücklich die Abenteuer, Erlebnisse und Erfahrungen der drei Jerusalempilger. Wegbeschreibungen, Berichte über historische Ereignisse, persönliche Erlebnisse und spirituelle Erfahrungen und Erkenntnisse sowie zahlreiche Farbfotos und übersichtliche Wegskizzen runden diesen einzigartigen Reisebericht ab. Wer sich auf dieses Buch einlässt, wird im Geiste mitgehen, mitfühlen und an Gottvertrauen gewinnen!
Textauszug Israel-Trail.com Von Santiago bis Jerusalem: Aufgeben war nie ein Thema
Von Santiago bis Jerusalem: "Aufgeben war nie ein Thema!"
Pilgern: Es gibt Dinge, die müssen andere nicht verstehen. Man macht sie, weil man an etwas glaubt. Oder weil man etwas sucht und finden möchte. Oder weil man einfach danke sagen will. Es ist nicht leicht, anderen zu erklären, weshalb man dann mal weg ist. Und nicht immer muss man anderen etwas erklären. Denn jeder hat seinen ganz eigenen Weg. Über den eigenen Weg möchte ich heute mit Paul Silberbaur sprechen, der Jerusalem nach über 5.000 Kilometern mit dem Fahrrad erreicht hat.
Christian
Paul, Du hast eine unglaubliche Reise hinter Dir. Begonnen hat alles...
Paul
… damit, dass ich im Jahr meines 60. Geburtstags (2007) nach Rom geradelt bin zum Grab meines Namenspatrons. Zwei Jahre später pilgerte ich dann nach Lourdes. Dabei stellte ich fest, dass die Pilgerfahrten einen stärkeren Tiefgang hatten, als die anderen Ferntouren, die ich jährlich davor und danach machte, Und so entstand der Wunsch, auf mehreren Etappen noch nach Jerusalem zu fahren.
Christian
Du hast ja nie aufgegeben und bist schließlich in Jerusalem angekommen?
Paul
Aufgeben war nie ein Thema, obwohl ich schon zwischendurch manchmal meine Mission hinterfragt habe, wenn die Anstrengungen grenzwertig wurden. So musste ich z. B. meine 2018 vorgesehene Route abkürzen, weil ich wegen einer vorangegangenen Virusgrippe noch nicht fit genug war und auch ständig Plattfußprobleme hatte. So hatte ich mich damals entschieden, dass ich von Madaba nicht weiter bis zum Roten Meer bzw. zurück durch die Negev-Wüste fahre. Ich kürzte ab und fuhr hinunter zum Toten Meer und kam dann über Jericho schließlich in Jerusalem an. (Mit meinen 71 Lenzen war ich ja auch nicht mehr der Jüngste...)
„Man braucht den Willen zum Aufbrechen“
Christian
Paradox: Die meisten können sich eine lange Reise nicht vorstellen, weil man da ja ausbrechen müsste. Dennoch träumen ganz viele von einer Pilgerreise und können sich sehr wohl vorstellen, selbst zu wandern (oder Fahrrad zu fahren). Was würdest Du denen sagen?
Paul
Ich bin schon als Jugendlicher mit Freunden in der damaligen KJG (Anm. d. Red.: Katholische Jjunge Gemeinde) viel unterwegs gewesen, u. a. 1965 Wanderung in Lappland, 1966 Türkei und 1968 Nordkap per VW-Bus. Später auch per Landrover durch Island und immer wieder Wanderungen.
Und Kanutouren in Finnland und Schweden. In den 80er und 90er Jahren bereiste ich dann mit mit meiner damaligen Frau per Campingbus ganz Westeuropa. Ich hatte also schon sehr früh das Reisefieber aufgesogen und schon immer alle Reisen mit- oder selbst geplant. Reisen und vor allem das Pilgern bringen viel Erfahrungen mit sich, stärken das Selbstvertrauen und helfen mit, Alltagsprobleme und Sorgen leichter zu meistern. Ich möchte nicht sagen, dass man dazu „ausbrechen“ müsste. Man braucht den Willen zum Aufbrechen, zum Tun und dann das Vertrauen zu Gott, dass alles klappen und gut gehen wird.
Christian
So unterschiedlich die Gründe zum Pilgern auch sein mögen, so hört man doch immer wieder ganz ähnliche Motive heraus. Welche sind Dir selbst begegnet, welche Motive kennst Du, dass sich ein Mensch eines Tages aufmacht?
Paul
Viele sprechen ja von sogenannter „Selbstfindung“. Das ist für mich nie der Grund gewesen. Ich kenne mich und habe mich schon mit jungen Jahren für meinen Lebensweg entschieden, den ich nie bereut habe – obwohl ich sehr viele Holperstufen zu meistern hatte. Eine große Holperstufe war die Insolvenz meiner Firma, die mich schließlich zum Pilgern brachte. Meine Pilgerung auf dem Jerusalemweg bezeichne ich ja als meine „Lebens-Danke-Wallfahrt“. Ich habe es mit Hilfe des Himmels geschafft, aus tiefen Depressionen wieder herauszukommen und habe mein Selbstwertgefühl wieder zurück erhalten, obwohl ich alle Sachwerte verloren habe und heute mit staatlicher Hilfe und der sogenannten Grundsicherung klar kommen muss. Dies ist für mich jedoch kein Problem. Im Gegenteil: Ich freue mich und anerkenne es, dass ich diese monatliche Finanzhilfe bekomme und sage jedes mal „Danke“ dazu!
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Vom Ende der Welt („Finisterra“) bis nach Jerusalem
Christian
Vom Ende der Welt („Finisterra“) bis nach Jerusalem. Durch welche Länder bist Du gekommen? Wie unterschiedlich sind die Menschen? Und was verbindet sie, wenn Du ihnen als Pilger begegnest?
Paul
Zunächst bin ich ja von meiner Heimatstadt Weißenhorn gestartet und auf drei Etappen in Jerusalem angekommen. Dabei kam ich auf dem ersten Abschnitt durch
Österreich
Ungarn
Kroatien
Serbien
Kosovo
Mazedonien und
Griechenland
Die zweite Etappe ging von
Thessaloniki in Griechenland durch die
Türkei bis Adana, nahe der syrischen Grenze.
Zum letzten Teilstück flog ich nach
Tel Aviv in Israel und radelte
am Mittelmeer bis Haifa,
hoch nach Nazareth und
um den See Genezareth.
Von dort nach Jordanien, wo ich an der Grenze zu Syrien wieder auf den von dort kommenden Jerusalemweg stieß.
Über Jerash
Irbit
Amman und
Madaba dann hinunter und hinüber nach
'Palästina' und schließlich wieder
Israel
-> Ankunft in Jerusalem.
Weil aber der Jerusalemweg in Finesterre am Atlantik beginnt, radelte ich dann letztes Jahr noch vom „Ende der Welt“ über Santiago de Compostela durch
Nordspanien
Frankreich
Schweiz
zurück in meine Heimatstadt.
Dabei bedient sich der Jerusalemweg meist der Infrastruktur des Jakobsweges. Die Menschen haben natürlich überall ihre landestypischen Gewohnheiten und leben danach. Das war schon ein besonderes Erlebnis, diese unterschiedlichen Landstriche zu durchqueren und die Menschen mit ihren verschiedenen Religionen zu erleben. Ich erntete bei allen Begegnungen und Gesprächen Wertschätzung, Verwunderung und Bewunderung, und immer uneingeschränkte, freundliche und freundschaftliche Hilfestellungen!
Insgesamt habe ich 7.804 km zurückgelegt vom Atlantik bis Jerusalem.
Christian
Anstrengungen und Schrecksekunden ?
Paul
Da waren natürlich die vielen und sehr langen Schiebestrecken auf dem Balkan, im türkischen Taurusgebirge, in Jordanien und in den Gebirgen Nordspaniens sowie im französischen Zentralmassiv. Es gab Sreckenabschnitte, wo ich zwischen 38 und 42 Grad ganze Tageslängen geschoben habe und stündlich 1 Liter Wasser trinken musste. Eine Schrecksekunde ist mir entstanden, als nach meiner Ankunft im Airport von Tel Aviv mein Bordrucksack nicht mehr da war, mit allem Geld, Ausweispapieren und vielem Anderem. Nach dem Ausfüllen von Fragebögen, vielen Gesprächen und Stunden voll Bangen und Hoffen habe ich ihn dann doch wieder zurück bekommen! (Lacht) Da konnte man einen total glücklichen Paul erleben!
„Das allerschönste Erlebnis war (...) mein Ankommen und mein Aufenthalt in Jerusalem“
Christian
Dein schönstes Erlebnis?
Paul
Dazu zählt natürlich auch die vorher erzählte Geschichte. Ansonsten hatte ich sehr viele schöne Erlebnisse, die meist durch hilfsbereite Menschen zustande kamen. Bei meiner Fahrt durch Anatolien kam ich nach langer Fahrstrecke ziemlich geschafft zu einer Tankstelle, wo ich was trinken wollte. Der Inhaber saß vor dem Tankhäuschen auf einer Bank. Ich hielt vor ihm an und sagte: „Hundert Liter Diesel…!“ Worauf er in breitestem Schwäbisch antwortete:“Ka´sch hau..! Auf meine Frage, woher er das Schwäbisch habe, erzählte er mir, dass er im nächsten Ort meiner Heimatstadt 38 Jahre gewohnt und gearbeitet und jetzt hier die Tankstelle seines verstorbenen Onkels übernommen habe…
Das allerschönste Erlebnis war allerdings mein Ankommen und mein Aufenthalt in Jerusalem!
„… mit 68 bin ich zur ersten Etappe aufgebrochen“
Christian
Paul, persönliche Frage: Muss man eigentlich reich und selbstständig sein, um sich eine solche Auszeit leisten zu können? Oder muss man warten bis zur Rente und dann hoffen, dass man noch gesund ist? Wann ist die beste Zeit, um aufzubrechen?
Paul
Während meiner aktiven Selbständigkeit (ich hatte ein relativ großes Küchenstudio) konnte ich nicht länger wie 2 Wochen plus vorangehende Tage wie Donnerstag, Freitag, Samstag vom Betrieb abwesend sein.
Da kam ich immer sonntags zurück und war dann schon am Abend in der Firma, um zu sichten, was mich ab Montag erwartet. Mit 67 war dann Ende und mit 68 bin ich zur ersten Etappe aufgebrochen, bei der (und den folgenden) ich immer zwischen 5 ½ und 7 ½ Wochen weg war. Das hat mit „reich sein“ nichts zu tun. Ich habe ja vorher meine finanzielle Situation geschildert. Als Pilger übernachte ich in der Regel in einfachen Unterkünften oder in meinem Zelt. Auch die anderen Ausgaben sind auf der Radreise relativ günstig. Finanziert habe ich die Unternehmungen mit meinen Vorträgen, wo ich immer Spenden erhalte; dazu erhielt ich immer finanzielle Unterstützung von Freunden und Bekannten.
Christian
Was hat eigentlich Deine Frau dazu gesagt?
Paul
Eine Frau gibt es nicht. Dieses Thema ist auch unter den „Holperstufen“ meines Lebens einzuordnen. Ich hatte zwei Ehen und eine Lebenspartnerin. Seit über 20 Jahren lebe ich allein. Hier in meinem Wohnhaus ist ein Blumenladen. Mit der Inhaberin und einem Teil der Floristinnen habe ich eine Art ‚“Wohngemeinschaft“. Wir essen mittags zusammen und ich bin dort als „15. Nothelfer“ eingebunden. Diese Mädels und viele Freunde aus meinem Freundeskreis und Männerchor sind schon immer sehr besorgt um mich und erfreut, wenn ich wieder zuhause bin! Mein Sohn aus erster Ehe ist Arzt an einer Anthroposophischen Behinderteneinrichtung, hat Familie mit fünf Kindern und wohnt am Eingang zum Schwarzwald. Wir sehen uns daher (und weil ich auch kein Auto mehr besitze) nur 2 – 3 mal pro Jahr. Sie sind aber auch „gefühlt“ immer mit mir unterwegs und freuen sich natürlich, wenn Opa wieder gut zurück ist.
Anm. d. Redaktion: Ein Kaffee bedeutet und viel! Wir freuen uns über Deine Achtsamkeit:
Unter Pilgern: „Heute (…) selbstverständlich, dass ich (...) per Du bin“
Christian
Was mich viele hier schon gefragt haben, warum ich mit allen hier per Du bin. Die Welt unter Pilgern, Naturliebhabern, Sportfreunden, Israelliebhabern ist es doch wert, oder?
Paul
Das sehe ich genau wie Du! Während meiner beruflichen Zeit war ich mit Kunden und Mitarbeitern natürlich per Sie unterwegs und habe das Du relativ gering zugelassen oder angeboten. Heute ist es für mich selbstverständlich, dass ich mit den Menschen in den von Dir oben beschrieben Gruppen und Kreisen per Du bin. (Statt Sportsfreunden sind es bei mir meine Sangesfreunde.) Wesentlich dazu beigetragen haben hier meine Pilgerreisen, die ja jedes mal vorher und nachher von beiden hier erscheinenden Tageszeitungen redaktionell begleitet wurden. Und dann habe ich ja Anfang dieses Jahres beim Neujahrsempfang der Stadt Weißenhorn die Bürger-Ehrenmedaille erhalten, was meinen „Bekanntheitsgrad“ als Stadtführer und Mitglied des Pfarrgemeinderats und „Weißenhorner Original“ noch weiter erhöht hat.
Christian
Hat sich Dein Freundeskreis eigentlich verändert? Kann man durch einen neuen Weg Freunde verlieren? Und neue gewinnen? Was sind Deine Erfahrungen?
Paul
Aus meiner Zeit bei der damaligen KJG bestehen bis heute noch zwei Freundeskreise, in denen man sich immer noch monatlich trifft. In einem der beiden bin ich sehr stark verwurzelt Trotz relativer Konservativität haben sie die durch meine Scheidungen bedingten Veränderungen immer mitgetragen und haben mich immer akzeptiert, auch in der Zeit der Insolvenz und danach! Sie haben auch meine Pilgerungen finanziell unterstützt und mitgetragen. Es haben sich aber auch neue Freundschaften ergeben. Einmal durch meinen Vorsitz und meine Aktivitäten im Männerchor Liederkranz, durch meine vielen Vorträge und natürlich auch durch die anderen Aktivitäten. Und nicht zu vergessen: Meine Pilgerfreunde Johannes Aschauer, Hans Grasser und viele andere, auch „von den Strecken“ und auch Du, obwohl wir uns noch nicht persönlich kennen!
Christian
Das Universum verbindet uns beide doch auf eine ganz wunderbare Art und Weise! Ich habe Freunde, mit denen verbindet mich viel weniger, als mit Dir. Wenn ich zu Dir sage "Shalom, wie geht es Dir", oder Du mit mir telefonierst oder schreibst, dann geht mir das immer sehr nahe und das gibt es doch sonst im richtigen Leben nur ganz selten!
"Es gibt keinen Zufall"
Christian
Paul, was mich bedrückt ist die mangelnde Achtsamkeit in unserer heutigen Welt. Schon kleine Kinder werden durch unserer Schulsysteme gejagt, oft begleitet von größten Ängsten. Sinn und der Glaube an sich selbst bleiben heute schon früh auf der Strecke. Muss man erst alt sein, um los zu kommen, oder sollte man schon früh damit beginnen, sich „auf den Weg“ zu machen?
Paul
Das ist eine Entwicklung, die ich auch so sehe! Es geht (ging bis jetzt) allen sehr gut, vielleicht zu gut!? Da braucht man keinen Herrgott mehr (das ging mir zu „guten Zeiten“ genauso), die umgebende Gesellschaft hat so viele Einflüsse und prägt die Menschen. Dazu kommt der Druck in den Schulen und vor Allem auch der Druck aus der Wirtschaft. Rationalisierungen und Kosteneinsparungen werden meist auf dem Rücken der Mitarbeiter, der Menschen (!), ausgetragen. Vielleicht kommt nach Corona doch ein gewisses Umdenken? Auch die generationsübergreifenden Verbünde gibt es kaum mehr. (Früher wohnten drei Generationen zusammen, waren auf sich angewiesen und haben sich gegenseitig ergänzt und geholfen. Dies ist momentan ein Thema für meinen Verein und Chor, in dem ich an einem Intergenerativen Konzept arbeite, um Familien und Singles generationsübergreifend zusammen zu bringen.
Mit Freude erlebe ich bei der Familie meines Sohnes das Gegenteil. Geprägt durch ihr Umfeld, und wohl auch Waldorfschule, haben sie einen ganz anderen Bezug zu Natur und zu Familienleben. Mein Sohn und Schwiegertochter sind übrigens auch schon (damals noch getrennt, weil nicht gekannt) auf dem Jakobsweg gepilgert bis Santiago. Mit ihren Kindern sind sie auch schon seit einigen Jahren (der Kleine war damals 2 Jahre) jährlich 2 Wochen pilgernd unterwegs auf den Jakobswegen in Baden-Württemberg. Meine eigene Erfahrung aus der Jugend und dieses Beispiel zeigt doch auf, dass es wohl Vorteile hat, wenn man solche „Gene“ schon frühzeitig vermittelt bekommt…!?
Christian
Pilgern können viele ein wenig nachvollziehen. Aber schließlich regnet es dann auch einmal, man wird vielleicht krank. etwas geht kaputt oder man kommt ganz einfach auch psychisch an seine Grenzen. Meine Tante hat mich einmal gefragt: Warum tut man sich all das eigentlich an?
Paul
Meine Sängerfreunde sagen immer, dass sie sich fragen, welche schwere Sünden der Paul wohl abbüßen müsse, dass er solche Pilgerfahrten machen muss? Daraus entnehme ich schon auch, dass das Pilgern nicht unbedingt von allen verstanden wird, auch wenn es Freude bereitet. Und auch von den vielen Jakobsweg-Pilgern sieht man ja die wenigsten in den am Weg liegenden Kirchen, sie sind ja meist auf der Suche nach sich selbst…? Als Fuß- oder Fahrradpilger weiß man natürlich, dass es nicht nur Sonnenscheintage gibt oder dass man mal einen Unfall haben kann oder krank wird (z. B. Durchfall). Ich habe mich auch schon ab und zu gefragt, warum und wieso? Das sind aber meist nur ganz kurze Phasen. Die vielen positiven Erfahrungen und Eindrücke, die man macht und gewinnt, überwiegen ja bei Weitem die wenigen „nicht ganz so Schönen“.
Christian
Männer dürfen nicht weinen! Frauen natürlich auch nicht. Denn Schwäche zeigen geht in der heutigen Welt überhaupt nicht. Themen wie Depressionen sind auch heute noch so gut wie Tabu, zumindest tendiert das Wissen darum selbst in meiner eigenen Familie eher gegen Null. Darf man da draußen in der Natur wenigstens Gefühle zeigen?
Paul
Ich habe ja schon solche Zeiten durchlebt und hatte das Gefühl, dass ich beim Einkaufen beim Bäcker beobachtet wurde mit der Meinung „ach so schlecht kann´s ihm ja nicht gehen, er kann sich ja noch 2 Semmel kaufen…
Die Einstellung „Männer dürfen nicht weinen“ ist mir zwar bekannt. Ich persönlich habe jedoch ein „weiches Herz“ und neige sehr dazu, schnell weinen zu müssen. Dazu kann ich aber (zwischenzeitlich) auch stehen. Das sehe ich heute als meine total eigene Sache und schäme mich auch nicht (mehr) dafür.
Christian
Auch zu Hause würde ich ab und zu gerne mal reden. Aber schnell kommt dann ein „Aber DIR geht es doch gut“, gefolgt von der ewig gleichen Geschichte der anderen. Mitten in der Wüste Negev bin ich auf Menschen gestoßen, die mir etwas über sich erzählt haben, aber denen ich auch einmal etwas über mich erzählen konnte. Manche in Israel wissen mehr über mich, als meine besten Freunde. Verrückt, oder?
Paul
Ich glaube, das ist schon ein bisschen „deutsche Haltung“. „Wie es da drinnen aussieht, geht niemand was an...“ Oder es ist eben auch ein Spiegelbild unseres guten Lebens. Viele Leute erzählen ja nach drei Wochen Urlaub nur vom angeblich schlechten Essen und den Staus auf der Hin- und Rückreise. Ich frage dann immer, ob es denn gar nicht schön war bzw. ob sie denn gar nichts Schönes erlebt hätten?
Die Menschen in Israel leben mit der täglichen Gefahr seit Jahrtausenden und wissen vielleicht das Gute anders zu werten. Vielleicht können sie deshalb auch besser zuhören und Anteil nehmen am Innenleben ihres Gegenüber.
Christian
Paul, was bedeutet „Pilgern“ für Dich? Und, wir würdest Du den Begriff auslegen, um auch Andersgläubige nicht zu verprellen?
Paul
Darauf ist es nicht leicht zu antworten. Ich für mich sehe es als ein Danke-Sagen für mein ganzes bisherige Leben. Dazu gehört auch das Negative, denn es hat mich auch verändert oder zu etwas verholfen. (Das muss man allerdings auch so sehen und akzeptieren können) Ich habe wieder gelernt, dass es ohne einen Gott nicht geht und beim Pilgern habe ich Gelegenheit, ungestört vom Alltag, diesem Gott für seinen immerwährenden Beistand zu danken. (Einen Gott haben ja auch Andersgläubige). Entscheidend ist doch, ob ich meinen Gott wahrnehme und auch brauche.
Hier ist, so glaube ich, die Krux: Man hat sich ja schließlich alles selbst erarbeitet und den Wohlstand schließlich selbst verdient. Man kennt ja gar nichts Anderes. Wo war da bitte ein Gott?
Christian
Viel waren ja noch nie im Leben in Israel, wie würdest Du das Land und die? Menschen beschreiben?
Paul
Für mich war es schon etwas Besonderes, nach Israel zu kommen. Zunächst zu erleben, wie sich gläubige Juden kleiden und verhalten. Das sieht man bei uns ja eher seltener. Dann zu wissen, dass man im Land des Volkes ist, dem wir unter Hitler so viel Unrechtes angetan haben. Auch zu wissen, dass man sich in einem Land befindet, das keinen Frieden kennt und hat und dass man auch keinen Weg sieht, wie sich die Problematik zwischen Palästinensern und Israelis regeln lässt. Und dann habe ich, durch meinen Aufenthalt bei Liel, auch erlebt, welche harte Einstellung bei den Israelis vorhanden ist bezüglich des Lebens und der Rechte von Palästinensern.
Auch wird unser Umgang mit den arabischen Staaten doch sehr hinterfragt. Nun, es ist ein Volk, das schon immer „im Kampf“ gelebt hat, immer misstrauisch sein musste gegenüber anderen Völkern. Diese Stimmung habe ich dort so erlebt und das hat mich auch bedrückt.
Christian
Camino de Santiago, Israel-Trail, Jesustrail, Jerusalemtrail... alles nur heutige Namen für uralte Fußpfade und Strecken, die schon vor Jahrtausenden in unterschiedlichen Varianten begangen wurden. Welche Gedanken macht man sich eigentlich, wenn man da draußen viel Zeit hat?
Paul
Mein Großvater war vor dem Weltkrieg auch schon als Pilger in Jerusalem. Ein Onkel war wegen seiner Krankheit in den 60 er Jahren mehrmals als Pilger in Lourdes. So bin ich schon früher immer wieder mit dem Thema konfrontiert worden. Dem Pilgern bin ich, nach meinen Touren nach Rom und Lourdes, im Buch von Johannes Aschauer und jetzt durch Jakobsweg-Literatur begegnet. Durch das Lesen bekommt man ja vermittelt, welche Gründe zur Entwicklung des Pilgerns, vor Allem nach Jerusalem und zum Jakobsgrab, geführt haben. Zwischenzeitlich habe ich mich tiefer eingelesen in diese Thematik, auch zu anderen Pilgerstätten. Insgesamt versteckt sich für mich dahinter ein riesiger Glaube, Sehnsüchte aller Zeiten unserer Geschichte. Es scheint ein Bewegen, ein Leben in eine und in einer anderen Welt zu sein... Unwillkürlich kommen Gedanken an die damaligen Pilger und die damaligen Umstände, unter denen sie unterwegs waren. Wie haben sie sich ernährt, wo haben sie geschlafen? Wie waren die Wege, die Brücken? Welche Strapazen haben sie, im Gegensatz zu heute, auf sich genommen?
Christian
Paul, was bedeutet Dir das ehrliche Lachen oder eine Umarmung eines völlig fremden Menschen unterwegs?
Paul
Das zähle ich zu den schönsten Erlebnissen. Gerade die uneingeschränkte Offenheit bei solchen Begegungen ist das, was uns im Alltagsleben verloren gegangen ist.
Christian
Was bedeutet Dir Natur? Und was bedeutet der Gegensatz zwischen Straße und Natur?
Paul
Nun, Natur ist zunächst das Natürliche, das Gewachsene, das Ursprüngliche. Das Typische für die Region. Die Straße kommt aus Menschenhand und ist in Spanien gleich wie in der Türkei oder in Israel. Als Fahrradpilger wünscht man sich sehr oft mehr Naturnähe, da das Fahren im Straßenverkehr unangenehm und mit vielen Gefahren verbunden ist.
Christian
Eine Pilgerreise ist kein All-inklusive-Ausflug mit Vollpension. Ich möchte leichtfertige, respektlose und naive Pilger-Touris an dieser Stelle auch einmal etwas zum Nachdenken bewegen. Reden wir doch einmal über Verzicht, Entbehrungen. Wie hart kann der Alltag unterwegs werden? Wie wichtig ist dabei der Kopf?
Paul
Wenn man als Pilger unterwegs ist, ist man grundsätzlich bereit, über eine gewisse Zeit mit weniger Luxus zurecht zu kommen. Es ist auch das Schöne am Pilgern, dass man bewusst in einfacheren Unterkünften nächtigt, mit einfacher Kleidung angezogen ist, sich bewusst auf ein Leben ohne großen Komfort einstellt. Ich denke, dass man sich damit auch eine Art Buße auferlegt, was ja schließlich auch Sinn von Pilgern ist.
Das einfachere Leben öffnet gleichzeitig aber auch den Blick auf Dinge, die man sonst im Alltag gar nicht (mehr) wahrnimmt.
Christian
Gut. Andersherum: Eine längere Tour machen kann jeder, der...
Paul
bereit ist, Entbehrungen und Überraschungen hinzunehmen, der aber auch körperlich so fit ist, um sich den damit verbunden Herausforderungen und Anstrengungen stellen zu können. Das gilt für Fußgänger wie für Radfahrer.
Christian
Welche Touren hast Du in Deinem Leben schon so gemacht? Was ist im Gedächtnis geblieben?
Paul
Mit dem Fahrrad: vom Ruhrgebiet bis Hamburg/ Main-Radweg/ Elbe-Radweg/ Über den Schwarzwald zum Rhein, weiter an Saar und Mosel durch Luxemburg und Belgien bis zur Nordsee/ Oder-Neiße-Radweg/Weinradweg Pfalz Mur-Radwegund die vorgenannten Pilgertouren. Im Gedächtnis geblieben sind mir insbesondere alle vier Etappen auf dem Jerusalemweg, die Wanderung mit Karte und Kompass durch Finnisch Lappland und die Türkei-Fahrt 1966 mit dem VW-Bus.
Aber auch die vielen Reisen mit dem selbst ausgestatteten Campingbus durch ganz Westeuropa waren große Erlebnisse, da diese auch mit Wanderungen und Kanutouren unterbrochen waren. Und immer waren und sind es die Menschen, die man trifft, mit denen man sich unterhält und teilweise heute noch Kontakte hat.
Christian
Paul, viele wissen gar nicht, dass unsere christlichen Wurzeln JÜDISCH sind. Wenn man heute jüngeren Leuten in Berlin sagt, Jesus war ein Jude, dann lachen da manche und „checken“ rein gar nichts...
Paul
Das liegt sicherlich an der Oberflächlichkeit, mit der die meisten Menschen heute unterwegs sind. Shoppen, konsumieren und überall dabei sein. Bloß keine Verpflichtungen eingehen und sich Gedanken machen um Dinge, die einen nicht tangieren.
Christian
Paul, Du machst ja auch Vorträge. Wo kann man Dich (nach Corona) sehen?
Paul
Es sind verschiedene Vortragstermine jetzt ausgefallen bei kirchlichen Seniorengruppen, Kolping und VDK, die irgendwann nachgeholt werden müssen. Den neuen Vortrag werde ich, so bald wie möglich, hier in Weißenhorn im Pfarrgemeindehaus öffentlich halten, dann auch bei den Weißenhorner Fotofreunden (mit Alpenverein). Termine gibt es noch keine, teile sie Dir aber gerne mit!
Christian
Paul, zum Schluss möchte ich Dich noch fragen, was Dir Glaube bedeutet. Wie würdest Du das z.B. jemandem erklären, der selbst keinen Zugang dazu hat, aber im Leben auf der Suche nach sich selbst ist?
Paul
Mit dem letzteren Begriff kann ich nicht allzu viel anfangen; das habe ich schon eingangs und später erwähnt. Mir bedeutet Glaube heute wieder sehr viel, weil ich weiß, dass ich ohne die Hilfe unseres Herrgotts und Mariens die schwierigen Zeiten nicht durchgestanden hätte, vielleicht sogar nicht mehr leben würde.
Christian
Unsere Israel-Trail-Webseite betreiben wir ehrenamtlich, verbunden mit dem Wunsch, anderen auf ihren ersten Schritten auf zu eigenen Wegen ein paar Orientierungen zu geben. Aber auch Israel selbst und seine Menschen haben sich eine viel bessere Presse verdient, oder?
Paul
Die Israel-Trail-Webseite finde ich sehr informativ und begeisternd! Israel selbst und seine Menschen verdienen sicher eine gute Presse. Dass es dort irgendwann eine Lösung mit Palästina geben und endlich Frieden einkehren möge, ist mir eine Herzensangelegenheit. Allerdings wird die Einstellung der Israel. Regierung hier nicht immer verstanden, dazu müsste man mehr aufklären oder sich für das Land interessieren.
Christian
Wer denkt, eine Pilgerreise sei aus diesem oder jenem Grunde nicht möglich, dem würdest Du wünschen...
Paul
Eine echte Pilgerreise sollten noch viel mehr Menschen machen. Vielleicht würden sich dann die Menschen anders begegnen und lernen, auf manche „Annehmlichkeiten“ verzichten zu können.
Über Paul Silberbaur:
Geboren 9. Januar 1947 in Weißenhorn
Schule: Oberrealschule
Kaufmännische Ausbildung zum Holzkaufmann
mit 17 Jahren Eintritt in elterlichen Betrieb (Schreinerei mit Möbelhandel) mit 21 Jahren Übernahme des verschuldeten Betriebs/Beg. Selbständigkeit
Umstrukturierung in ein Küchenstudio
1990 Gründung Filiale Ulm
1992 Beteiligung an Küchenstudio in Olching
1995 Bezug des Neubaus in Weißenhorn
2013 Insolvenz
2014 Ende der Berufszeit
Ehrenämter:
35 Jahre Feuerwehrmann in leitender Funktion
20 Jahre in der Vorstandschaft einer Einkaufskooperation
6 Jahre Vorsitzender des Gewerbeverbands Weißenhorn
3 Jahre Mitglied der Vollversammlung IHK Augsburg
Heute:
Stadtführungen in der Fuggerstadt Weißenhorn
Mitglied im Museumsverein
Vorsitzender eines Männergesangvereins
Mitglied im Pfarrgemeinderat, Pressesprecher
Vorträge über Fahrrad-Pilgertouren
2o20 Auszeichnung mit Bürger-Ehrenmedaille der Stadt Weißenhorn
Motto:
"Ein tiefer Fall führt oft zu höherem Glück (Shakespeare)"
Welche Bücher möchtest Du empfehlen?
Auf dem Jerusalemweg von Johannes Aschauer
Mit dem Rad durch Israel Johannes Reichert
Unterwegs auf den Spuren des Paulus Peter Walker
Israel-Trail.com Christian Seebauer (siehe unten)
Radwandern entlang des Jakobswegs Bert Teklenborg
Empfohlene Links:
www.jerusalemway.org
Auf Amazon
4.500 km beträgt die Strecke von Oberösterreich bis nach Jerusalem! Drei Männer machten sich im Juni 2010 auf den Weg und gingen diese unglaubliche Strecke zu Fuß und trafen nach sechs Monaten am 24. Dezember in Bethlehem und schließlich am 26. Dezember in Jerusalem ein. Johannes Aschauer, Otto Klär und David Zwilling zwei Polizisten und ein ehemaliger Schirennläufer und Abfahrtsweltmeister waren auf dieser außergewöhnlichen Pilgerreise. Auf ihrer Reise folgten sie den Spuren der Kreuzzüge, wandelten auf den Wegen des Apostels Paulus und den historischen Pilgerpfaden durch 10 Länder in das Heilige Land Israel: Dieses Buch berichtet über ihren Weg, gibt Einblicke rund um das Thema Pilgern im Allgemeinen und erzählt eindrücklich die Abenteuer, Erlebnisse und Erfahrungen der drei Jerusalempilger. Wegbeschreibungen, Berichte über historische Ereignisse, persönliche Erlebnisse und spirituelle Erfahrungen und Erkenntnisse sowie zahlreiche Farbfotos und übersichtliche Wegskizzen runden diesen einzigartigen Reisebericht ab. Wer sich auf dieses Buch einlässt, wird im Geiste mitgehen, mitfühlen und an Gottvertrauen gewinnen!
Mehr zum Buch: hier ->
Kontakt:
Paul Silberbaur
Memminger Straße 22
89264 Weißenhorn
Tel. o73o9/3542 – Mobil 49 170 5023295
Pilgern verbindet
Viele wertvolle und hilfreiche Infos findest Du auch auf der wunderbaren Pilgerwebseite von Johannes Aschauer unter https://www.jerusalemway.org
(c) Fotos und Illustrationen: Paul Silberbaur, Johannes Aschauer
Hier stellt Paul Silberbaur Dir seine Ausrüstungsliste zum Fahrradpilgern "Jerusalemweg mit dem Fahrrad" zur Verfügung
https://www.israel-trail.com/ausruestungsliste-jerusalemweg-mit-dem-fahrrad/Israel-Trail Post H1 Headlines
Von Santiago bis Jerusalem: Aufgeben war nie ein Thema
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[0] => Von Santiago bis Jerusalem: "Aufgeben war nie ein Thema!"
[1] => „Man braucht den Willen zum Aufbrechen“
[2] => Vom Ende der Welt („Finisterra“) bis nach Jerusalem
[3] => „Das allerschönste Erlebnis war (...) mein Ankommen und mein Aufenthalt in Jerusalem“
[4] => „… mit 68 bin ich zur ersten Etappe aufgebrochen“
[5] => Unter Pilgern: „Heute (…) selbstverständlich, dass ich (...) per Du bin“
[6] => "Es gibt keinen Zufall"
[7] => Hier stellt Paul Silberbaur Dir seine Ausrüstungsliste zum Fahrradpilgern "Jerusalemweg mit dem Fahrrad" zur Verfügung
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H2 Headlines zum Shvil Israel Beitrag
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Israel-Trail, Depressionen, Fahrradpilger, Fahrradtour, Glaube, Israel Bike, Jakobsweg Fahrrad, Jerusalemweg, Jesrusalemway, Paul Silberbaur, Pilgern, Selbstfindung, Selbstwertgefühl
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