Wer in Israel wandern möchte, wird garantiert mit offenen Armen empfangen. Angst vor Fremdenhass und Vorurteilen gegenüber Deutschen ist vollkommen unberechtigt. Umgekehrt hingegen stoßen Juden in Deutschland immer häufiger auf ganz offenen und unverhohlenen Judenhass, oft getarnt als sogenannte „Israelkritik“. Wie sich das anfühlt und warum wir gegen Antisemitismus gemeinsam Stopp sagen sollten, darüber spreche ich heute mit keinem Geringeren als dem Pressesprecher a.D. und Maj. – Res. der Israelischen Armee (IDF), Arye Sharuz Shalicar.
Maj. – Res. Arye Sharuz Shalicar
Christian
Hallo Arye! (nachdenklich) Schweigen bringt uns nicht weiter, oder? …
Arye
Nein, leider nicht. Es ist wichtig, dass wir uns austauschen und offen über die Entwicklungen sprechen.
Christian
Viele, sie sich für den Israel National Trail und für Israel und seine Menschen interessieren, erfahren am eigenen Leib, wie offen, ehrlich und extrem warmherzig man dort einem “Wanderer“ begegnet. Auf meiner knapp 1.100 Kilometer langen Reise zu Fuß, allein und ohne Geld durch Israel, bin ich unerwartet oft an meine eigenen Grenzen gestoßen, aber NIE wurden mir von Israelis – also den Menschen, denen ich begegnet bin – irgendwelche Grenzen aufgezeigt. Nie war ich unwillkommen, nie ging es um meine Religion oder darum, dass ich Deutscher bin, noch dazu aus Dachau. Nie habe ich Ablehnung oder Ausgrenzung gespürt.
Es beschämt mich und macht mich auch wütend, wenn Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland zu spüren bekommen, dass sie Juden sind.
Arye
Es ist tatsächlich so, dass Deutsche in Israel mit offenen Armen und viel Wärme und Liebe empfangen werden und auch keinerlei Probleme haben, Deutsch sprechend durch die Straßen zu laufen.
Ganz im Gegenteil, die deutsche Sprache ist in Israel mittlerweile sehr beliebt, und Berlin, und der Schwarzwald, und, und, und…mir fallen spontan noch so viel mehr Dinge ein, die in Israel sehr bekannt und beliebt sind.
Aber als Jude in Deutschland musst Du in manchen Gegenden in Deutschland wirklich Angst vor Übergriffen haben. Als Israeli kannst Du nicht einfach überall laut Hebräisch reden. Jüdische Erkennungsmerkmale müssen mittlerweile versteckt werden, weil man sonst ganz offen angefeindet wird. Hier müssen wir dringend gegensteuern.
Christian
Viele glauben ja, Antisemitismus ist, wenn ich etwas Verachtendes über „Juden“ sage. Mir kommt es immer so vor, als hätte man deshalb einfach das Wort „Jude“ gegen das Wort „Israel“ ausgetauscht. So kann man dann einfach weitermachen. “Und Kritik wird man doch noch üben dürfen …”
(das ist selbstverständlich nicht meine Meinung)
Arye
Genau so ist es: Israel als Land steht im neuen Sprachgebrauch einfach für den Juden. Und Deutschland als Land steht für den Deutschen. Und so benutzt man in der heutigen Ausdrucksweise dann nicht den Juden, sondern den Staat Israel als Wortsubstitution, um etwas gegen Juden zu sagen. Es geht ja ganz oft nicht um wirkliche Kritik gegenüber Israel – die selbstverständlich erlaubt ist – sondern meist ganz offen erkennbar um echten Antisemitismus und um einen Angriff gegen den einzelnen Menschen oder eben den Juden.
Christian
Arye, Dein Buch berührt mich extrem: Ich begreife es nicht als Belehrung, sondern als schmerzhaften Aufschrei…
Arye
Absolut. Am Anfang habe ich geschrieben, dass es in mir brennt. Ich sehe es als meine Pflicht, über diese alltäglichen, schmerzhaften Erfahrungen als Jude in Deutschland zu schreiben, auch wenn das natürlich eine sehr traurige Sache ist. Es fiel mir zunehmend schwer, mit anzusehen, dass andauernd antisemitische Übergriffe stattfinden und manche Menschen darauf mit ziemlicher Gleichgültigkeit reagieren.
Ich möchte betonen, dass ich mein Buch weder für mich, noch für Israel schreibe. Ganz im Gegenteil: Ich schreibe dieses Buch mit größter Hingabe für DEUTSCHLAND. Ich versuche dabei, aufzuzeigen, wo die Problemzonen sind, im Umgang mit Israel und den Juden.
Besonders wichtig ist mir, nicht zu verallgemeinern, sondern an Hand ganz konkreter Beispiele die roten Linien im respektvollen Umgang miteinander aufzuzeigen.
Christian
In Deinem Buch nimmst Du mich mit in Dein Leben, lässt mich mitfühlen und genau das tut mir verdammt weh. Du hast den Glauben an das Gute aber noch nicht aufgegeben?
Arye
Nein, habe ich nicht!
Weil ich, neben all den negativen Erfahrungen, die mich sehr verletzt haben in Deutschland, eben immer auch extrem gute und freundschaftliche Erfahrungen gemacht habe und nach wie vor mache.
Es sind ja im Leben auch die vielen ehrlichen Dinge, die mich so bewegen, zum Beispiel Menschen, die mich so annehmen, wie ich bin, oder Menschen, die einen in einer schweren Situation einfach einmal umarmen – so wie du das ja umgekehrt auch in deinem Buch “Israel Trail mit Herz” beschreibst. Nur dass ich als Jude in Deutschland immer wieder auch negative Dinge erfahren muss, von ganz unterschwellig bis hin zu echten Verletzungen.
Und nochmal ganz deutlich: Ich habe den Glauben an das Gute überhaupt nicht verloren! Vielmehr appelliere ich an das Gute, an die Menschen hier, an das Herz, die Seele und den Verstand. Ich erzähle in meinem Buch, was mir hier passiert, und es ist wichtig, weil viele ganz im Stillen leiden, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschen, als echte Freundschaften und ein unbeschwertes Leben.
Ich spreche aber eben nicht nur von den vielen Guten, sondern auch von denen, die mit zunehmender Aggressivität und einer spürbaren Gewaltbereitschaft ganz aktiv gegen das jüdische Leben in Deutschland vorgehen. Hier müssen wir sehr deutlich Stopp sagen.
Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse
Gerade einmal drei Generationen sind seit der Shoah vergangen. Deutschland ist heute ein anderes Land. Die Deutschen haben aus der Vergangenheit gelernt und sich ihrer Verantwortung für ein „Nie wieder“ gestellt. Ist es wirklich so?
Arye Sharuz Shalicar trifft in seinem Beruf deutsche Spitzenpolitiker, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Journalisten, Polizisten, Bundeswehrsoldaten, Akademiker und christliche Pilgergruppen. Nach unzähligen Gesprächen und Begegnungen gelangt er zu der bitteren Erkenntnis: Antisemitismus ist in Deutschland, nicht selten getarnt als „Israel-Kritik“, weiterhin tief verwurzelt.
„Neu-deutsche“ Antisemiten treten ihm unverhohlen und massenhaft in seinem Blog entgegen. Ihre Kommentare lassen keinen Zweifel daran: Juden gehören heute nicht selbstverständlich zu Deutschland.
“It’s Time to Dance”, aber auch höchste Zeit, Klartext zu sprechen
Hentrich & Hentrich hat sich als einziger Verlag im deutschsprachigen Raum ausschließlich auf jüdische Themen mit rund 50 Neuerscheinungen pro Jahr und über 400 lieferbaren Titeln spezialisiert.
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig Inh. Dr. Nora Pester
Haus des Buches | Gerichtsweg 28 | 04103 Leipzig info@hentrichhentrich.de
www.hentrichhentrich.de
Davidstern an einer Haustür, Foto Christian Seebauer
Christian
Arye, eine sehr persönliche Frage: Pressesprecher der Israelischen Armee (a.D.) einerseits und echte, wahnsinnig ehrliche menschliche Gefühle… wie geht das eigentlich zusammen?
Arye
Gott sei Dank haben Israelis – auch im Militär – eine große Herzensgüte und menschliches Mitgefühl. Sonst sähe heute ja alles ganz anders aus. Ich jedenfalls halte Gefühle, Anteilnahme und Empathie, genauso auch Träume und den Glauben an etwas Gutes, keineswegs für unvereinbar mit dem Glauben an den eigenen Staat. Echte Gefühle sind doch der Schlüssel, um Zugang zu Menschen zu gewinnen und Lösungen zu finden. Die finden wir, wenn wir Verständnis füreinander aufbringen, und das müssen wir nicht nur mit Fakten belegen, sondern auch mit Hilfe unseres Gefühls. In der israelischen Armee sind Gefühle ebenso wenig verboten wie in Deutschland.
Etwas zu fühlen und Empathie füreinander zu haben ist aber letzlich immer auch damit verbunden, verletzlich zu werden. Du selbst hast das ja am eigenen Leib erlebt, als Du als Bettler durch Israel gewandert bist. Allerdings sind Dir seelische Schmerzen in Israel Gott sei Dank erspart geblieben. Auch Soldatinnen und Soldaten sind Dir ja begegnet, und Du schreibst von hochemotionalen Momenten. Es ging bei Dir aber um Alpenveilchen, das normale Leben und das Zwischenmenschliche. Genau so etwas wünsche ich mir als Jude in Deutschland: Fairness, Offenheit und echte Freundschaft.
Christian
Lieber Arye, es stimmt mich traurig, dass man ein Buch wie Deines schreiben muss. Und doch finde ich es wichtig, dass Du es tust. Dass Du den Mut dafür aufbringst, Klartext zu reden und Brücken zu bauen. Dein größter Wunsch…?
Arye
Verständnis, Aufklärung, Freundschaft. Und dass viele dafür endlich aktiv eintreten. Wenn wir ehrlicher zueinander sind und mit größerer Empathie miteinander umgehen, dann kann es besser werden. Mein Wunsch ist, dass es besser wird.
Christian
Zwei kurze Fragen: wer Israel noch nicht kennt, dem wünschst Du…
Arye
Dass er/sie in den nächsten Flieger steigt und dieses kleine, feine, leckere Land kennen lernt.
Christian
Wer in seinem Bekanntenkreis/ Freundeskreis (noch) keinen Juden kennt…
Arye
Dem wünsche ich, dass er echte, neue und großartige Freunde für sein Leben gewinnt. Wir sind Menschen, mit denen man lachen kann, seine Freizeit verbringen kann, Freude und Schmerz teilen kann, essen und feiern kann, studieren kann, wohnen und leben kann, Menschen die auch Kritik vertragen und gerne auch ehrliche Kritik geben. Wir sind Menschen, die, genauso wie Du, verletzlich sind, stolz, glücklich und traurig sind – wie Du! Weshalb sollte man nicht mit einem Juden befreundet sein!?
Christian
Kann man mit Dir befreundet sein (lacht)?
Arye
Klar, zum Beispiel auf Facebook und natürlich auch im echten Leben. Und wer mein Buch liest, taucht ja auch ganz tief in meine Welt ein.
(Anm. d. Red: https://www.facebook.com/AryeSharuzShalicar/)
Christian
Arye, darf ich ein Geheimnis verraten? (lacht)
Du kennst Israel und natürlich auch die Wüste Negev wie kaum ein anderer. Aber der Israel-Trail fehlt Dir noch! Gehen wir eines Tages ein Stück zusammen raus in die Natur?
Arye
Warum nicht! Gerne begleite ich Dich aber auch ein Stück in Deiner Heimat.
Christian
Arye, ganz herzlichen Dank für dieses sehr offene und ehrliche Gespräch.
In der 9. Klasse auf dem Diesterweg-Gymnasium an der Pankstraße saß ich im Unterricht neben meinem besten neuen Freund, einem Deutsch-Inder namens Mahavir. Er war für mich ein Deutsch-Inder genauso wie ich für ihn ein Deutsch-Iraner war. Wir verstanden uns wirklich ausgesprochen gut. Wie ein Bruder war er für mich, bis er mich im Deutschunterricht vollkommen überraschend und abgrundtief enttäuschte.
Wir lasen ein Buch, das zur Zeit der Naziherrschaft über Deutschland spielte. An einer bestimmten Stelle ging es um ein kleines jüdisches Mädchen, das sich vor den Nazis verstecken musste, um ihr Leben zu retten. Mahavir drehte sich zu mir um und flüsterte mir zu: „Alle Juden sollten getötet werden.“ Ich war schockiert und fragte ihn, wieso er denn so etwas sagen würde, woraufhin er mir antwortete: „Die Juden sind unsere Feinde.“ Daraufhin konnte ich nicht anders, weil ich wirklich nicht verstand, was er mit „unsere Feinde“ meinte, genauso wie ich damals nicht verstand, was meine Eltern mit „wir“ meinten, und fragte ihn: „Was meinst du mit ‚unsere Feinde‘?“
„Juden sind die Feinde von uns. Die Feinde von uns Muslimen.“
„Ich bin aber kein Muslim.“
„Wie, du bist kein Muslim? Natürlich bist du Muslim. Du bist doch Iraner.“
„Ja, meine Eltern stammen aus dem Iran. Sie sind jedoch keine Muslime, sondern Juden.“
„Das kann nicht sein. Du verarschst mich gerade. Es gibt keine iranischen Juden.“
„Oh doch. Ich bin Jude, und was du gerade gesagt hast, hat mich sehr enttäuscht.“
„Sharuz, hör auf zu spinnen. Du kannst kein Jude sein. Erstens, weil ich Juden aus der Ferne erkenne und zweitens, weil du mein Freund bist.“
„Ich werde es dir beweisen. Morgen.“
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie wir uns, falls überhaupt, an jenem Tag verabschiedeten. Ich ging niedergeschmettert nach Hause und setzte mir die goldene Davidsternkette um, die ich von meiner Großmutter bei unserem letzten Besuch in Israel geschenkt bekommen hatte. Es war ihr Geschenk zu meiner nie stattgefundenen Bar Mizwa.
Am nächsten Tag ging ich mit der Kette unter dem Pullover zur Schule, und als wir dann wieder nebeneinandersaßen, holte ich sie raus, hielt sie Mahavir vor seine Augen und sagte:
„Siehst du Mahavir, ich bin ein Jude.“
Ich konnte mitverfolgen, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Sein Gesichtsausdruck war die eines Menschen, der eine Leiche gesehen hatte. In jenem Moment, als ich ihm meinen Davidstern zeigte, begrub er unsere Freundschaft. Begrub er mich!
Er stammelte nur noch die folgenden Worte: „Du bist tatsächlich ein Jude. Ein echter Jude.“
Mahavir setzte sich um. Nie wieder sprach er mit mir. Wenige Monate später zogen seine Eltern mit ihm zurück nach Indien und ich sah ihn nie wieder.
Aber sein Gesichtsausdruck, als er meinen Anhänger zu Gesicht bekam, verlässt mich nicht. Es war ein bedeutender Moment, der für mich eine bittere Realität widerspiegelt. Es geht vielen Menschen, unter ihnen auch Muslime, nicht wirklich um den sogenannten Nahostkonflikt. Sie sind einfach voller Hass gegenüber den Juden erzogen worden. Wie sonst kann man sich rational erklären, dass ein 14-jähriger, in Deutschland geborener Junge, dessen Eltern aus Indien stammen, der Annahme ist, dass er Juden aus der Ferne erkennen kann und seinem besten Freund, einem Deutsch-Iraner, die Freundschaft kündigt, nur weil er Jude ist?
Der Auszug stammt aus dem Kapitel „Aggressiver muslimischer Judenhass erobert deutsche Straßen“ aus dem Buch von Arye Sharuz Shalicar: Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 2018, S. 24–30.
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung (c) Arye Sharuz Shalicar, sowie Gidon Pico, Katerina Maglogianni, LoggaWiggler, Ingeborg Kråka. Herlichen Dank an Frau Dr. Nora Pester vom Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig für die Leseprobe.
Faszination Freunschaft. Christian Seebauer auf der Bühne am Odeonsplatz München vor mehreren Tausend interessierten Zuhöreren am Israeltag 2018
Wer in Israel wandern möchte, wird garantiert mit offenen Armen empfangen. Angst vor Fremdenhass und Vorurteilen gegenüber Deutschen ist vollkommen ...
Den “Israel Trail mit Herz” gibt es hier mit persönlicher Widmung
Buch und Poster gibt es hier:
-
Textauszug Israel-Trail.com Schweigen bringt uns nicht weiter. Ein Interview mit Arye Sharuz Shalicar
Wer in Israel wandern möchte, wird garantiert mit offenen Armen empfangen. Angst vor Fremdenhass und Vorurteilen gegenüber Deutschen ist vollkommen unberechtigt. Umgekehrt hingegen stoßen Juden in Deutschland immer häufiger auf ganz offenen und unverhohlenen Judenhass, oft getarnt als sogenannte „Israelkritik“. Wie sich das anfühlt und warum wir gegen Antisemitismus gemeinsam Stopp sagen sollten, darüber spreche ich heute mit keinem Geringeren als dem Pressesprecher a.D. und Maj. - Res. der Israelischen Armee (IDF), Arye Sharuz Shalicar.
Christian
Hallo Arye! (nachdenklich) Schweigen bringt uns nicht weiter, oder? …
Arye
Nein, leider nicht. Es ist wichtig, dass wir uns austauschen und offen über die Entwicklungen sprechen.
Christian
Viele, sie sich für den Israel National Trail und für Israel und seine Menschen interessieren, erfahren am eigenen Leib, wie offen, ehrlich und extrem warmherzig man dort einem "Wanderer“ begegnet. Auf meiner knapp 1.100 Kilometer langen Reise zu Fuß, allein und ohne Geld durch Israel, bin ich unerwartet oft an meine eigenen Grenzen gestoßen, aber NIE wurden mir von Israelis – also den Menschen, denen ich begegnet bin - irgendwelche Grenzen aufgezeigt. Nie war ich unwillkommen, nie ging es um meine Religion oder darum, dass ich Deutscher bin, noch dazu aus Dachau. Nie habe ich Ablehnung oder Ausgrenzung gespürt.
Es beschämt mich und macht mich auch wütend, wenn Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland zu spüren bekommen, dass sie Juden sind.
Arye
Es ist tatsächlich so, dass Deutsche in Israel mit offenen Armen und viel Wärme und Liebe empfangen werden und auch keinerlei Probleme haben, Deutsch sprechend durch die Straßen zu laufen.
Ganz im Gegenteil, die deutsche Sprache ist in Israel mittlerweile sehr beliebt, und Berlin, und der Schwarzwald, und, und, und…mir fallen spontan noch so viel mehr Dinge ein, die in Israel sehr bekannt und beliebt sind.
Aber als Jude in Deutschland musst Du in manchen Gegenden in Deutschland wirklich Angst vor Übergriffen haben. Als Israeli kannst Du nicht einfach überall laut Hebräisch reden. Jüdische Erkennungsmerkmale müssen mittlerweile versteckt werden, weil man sonst ganz offen angefeindet wird. Hier müssen wir dringend gegensteuern.
Christian
Viele glauben ja, Antisemitismus ist, wenn ich etwas Verachtendes über „Juden“ sage. Mir kommt es immer so vor, als hätte man deshalb einfach das Wort „Jude“ gegen das Wort „Israel“ ausgetauscht. So kann man dann einfach weitermachen. "Und Kritik wird man doch noch üben dürfen …"
(das ist selbstverständlich nicht meine Meinung)
Arye
Genau so ist es: Israel als Land steht im neuen Sprachgebrauch einfach für den Juden. Und Deutschland als Land steht für den Deutschen. Und so benutzt man in der heutigen Ausdrucksweise dann nicht den Juden, sondern den Staat Israel als Wortsubstitution, um etwas gegen Juden zu sagen. Es geht ja ganz oft nicht um wirkliche Kritik gegenüber Israel - die selbstverständlich erlaubt ist - sondern meist ganz offen erkennbar um echten Antisemitismus und um einen Angriff gegen den einzelnen Menschen oder eben den Juden.
Christian
Arye, Dein Buch berührt mich extrem: Ich begreife es nicht als Belehrung, sondern als schmerzhaften Aufschrei...
Arye
Absolut. Am Anfang habe ich geschrieben, dass es in mir brennt. Ich sehe es als meine Pflicht, über diese alltäglichen, schmerzhaften Erfahrungen als Jude in Deutschland zu schreiben, auch wenn das natürlich eine sehr traurige Sache ist. Es fiel mir zunehmend schwer, mit anzusehen, dass andauernd antisemitische Übergriffe stattfinden und manche Menschen darauf mit ziemlicher Gleichgültigkeit reagieren.
Ich möchte betonen, dass ich mein Buch weder für mich, noch für Israel schreibe. Ganz im Gegenteil: Ich schreibe dieses Buch mit größter Hingabe für DEUTSCHLAND. Ich versuche dabei, aufzuzeigen, wo die Problemzonen sind, im Umgang mit Israel und den Juden.
Besonders wichtig ist mir, nicht zu verallgemeinern, sondern an Hand ganz konkreter Beispiele die roten Linien im respektvollen Umgang miteinander aufzuzeigen.
Christian
In Deinem Buch nimmst Du mich mit in Dein Leben, lässt mich mitfühlen und genau das tut mir verdammt weh. Du hast den Glauben an das Gute aber noch nicht aufgegeben?
Arye
Nein, habe ich nicht!
Weil ich, neben all den negativen Erfahrungen, die mich sehr verletzt haben in Deutschland, eben immer auch extrem gute und freundschaftliche Erfahrungen gemacht habe und nach wie vor mache.
Es sind ja im Leben auch die vielen ehrlichen Dinge, die mich so bewegen, zum Beispiel Menschen, die mich so annehmen, wie ich bin, oder Menschen, die einen in einer schweren Situation einfach einmal umarmen – so wie du das ja umgekehrt auch in deinem Buch "Israel Trail mit Herz" beschreibst. Nur dass ich als Jude in Deutschland immer wieder auch negative Dinge erfahren muss, von ganz unterschwellig bis hin zu echten Verletzungen.
Und nochmal ganz deutlich: Ich habe den Glauben an das Gute überhaupt nicht verloren! Vielmehr appelliere ich an das Gute, an die Menschen hier, an das Herz, die Seele und den Verstand. Ich erzähle in meinem Buch, was mir hier passiert, und es ist wichtig, weil viele ganz im Stillen leiden, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschen, als echte Freundschaften und ein unbeschwertes Leben.
Ich spreche aber eben nicht nur von den vielen Guten, sondern auch von denen, die mit zunehmender Aggressivität und einer spürbaren Gewaltbereitschaft ganz aktiv gegen das jüdische Leben in Deutschland vorgehen. Hier müssen wir sehr deutlich Stopp sagen.
Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse
Gerade einmal drei Generationen sind seit der Shoah vergangen. Deutschland ist heute ein anderes Land. Die Deutschen haben aus der Vergangenheit gelernt und sich ihrer Verantwortung für ein „Nie wieder“ gestellt. Ist es wirklich so?
Arye Sharuz Shalicar trifft in seinem Beruf deutsche Spitzenpolitiker, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Journalisten, Polizisten, Bundeswehrsoldaten, Akademiker und christliche Pilgergruppen. Nach unzähligen Gesprächen und Begegnungen gelangt er zu der bitteren Erkenntnis: Antisemitismus ist in Deutschland, nicht selten getarnt als „Israel-Kritik“, weiterhin tief verwurzelt.
„Neu-deutsche“ Antisemiten treten ihm unverhohlen und massenhaft in seinem Blog entgegen. Ihre Kommentare lassen keinen Zweifel daran: Juden gehören heute nicht selbstverständlich zu Deutschland.
Inhalt: Muslimischer Antisemitismus – Linksintellektueller Antisemitismus – Rechtsradikaler Antisemitismus – „Israel-Kritik“ – Philosemitismus – Christlicher Antisemitismus – Neidkultur
Mehr dazu ->
Hentrich & Hentrich hat sich als einziger Verlag im deutschsprachigen Raum ausschließlich auf jüdische Themen mit rund 50 Neuerscheinungen pro Jahr und über 400 lieferbaren Titeln spezialisiert.
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig
Inh. Dr. Nora Pester
Haus des Buches | Gerichtsweg 28 | 04103 Leipzig
info@hentrichhentrich.de
www.hentrichhentrich.de
Christian
Arye, eine sehr persönliche Frage: Pressesprecher der Israelischen Armee (a.D.) einerseits und echte, wahnsinnig ehrliche menschliche Gefühle... wie geht das eigentlich zusammen?
Arye
Gott sei Dank haben Israelis – auch im Militär – eine große Herzensgüte und menschliches Mitgefühl. Sonst sähe heute ja alles ganz anders aus. Ich jedenfalls halte Gefühle, Anteilnahme und Empathie, genauso auch Träume und den Glauben an etwas Gutes, keineswegs für unvereinbar mit dem Glauben an den eigenen Staat. Echte Gefühle sind doch der Schlüssel, um Zugang zu Menschen zu gewinnen und Lösungen zu finden. Die finden wir, wenn wir Verständnis füreinander aufbringen, und das müssen wir nicht nur mit Fakten belegen, sondern auch mit Hilfe unseres Gefühls. In der israelischen Armee sind Gefühle ebenso wenig verboten wie in Deutschland.
Etwas zu fühlen und Empathie füreinander zu haben ist aber letzlich immer auch damit verbunden, verletzlich zu werden. Du selbst hast das ja am eigenen Leib erlebt, als Du als Bettler durch Israel gewandert bist. Allerdings sind Dir seelische Schmerzen in Israel Gott sei Dank erspart geblieben. Auch Soldatinnen und Soldaten sind Dir ja begegnet, und Du schreibst von hochemotionalen Momenten. Es ging bei Dir aber um Alpenveilchen, das normale Leben und das Zwischenmenschliche. Genau so etwas wünsche ich mir als Jude in Deutschland: Fairness, Offenheit und echte Freundschaft.
Christian
Lieber Arye, es stimmt mich traurig, dass man ein Buch wie Deines schreiben muss. Und doch finde ich es wichtig, dass Du es tust. Dass Du den Mut dafür aufbringst, Klartext zu reden und Brücken zu bauen. Dein größter Wunsch...?
Arye
Verständnis, Aufklärung, Freundschaft. Und dass viele dafür endlich aktiv eintreten. Wenn wir ehrlicher zueinander sind und mit größerer Empathie miteinander umgehen, dann kann es besser werden. Mein Wunsch ist, dass es besser wird.
Christian
Zwei kurze Fragen: wer Israel noch nicht kennt, dem wünschst Du...
Arye
Dass er/sie in den nächsten Flieger steigt und dieses kleine, feine, leckere Land kennen lernt.
Christian
Wer in seinem Bekanntenkreis/ Freundeskreis (noch) keinen Juden kennt...
Arye
Dem wünsche ich, dass er echte, neue und großartige Freunde für sein Leben gewinnt. Wir sind Menschen, mit denen man lachen kann, seine Freizeit verbringen kann, Freude und Schmerz teilen kann, essen und feiern kann, studieren kann, wohnen und leben kann, Menschen die auch Kritik vertragen und gerne auch ehrliche Kritik geben. Wir sind Menschen, die, genauso wie Du, verletzlich sind, stolz, glücklich und traurig sind - wie Du! Weshalb sollte man nicht mit einem Juden befreundet sein!?
Christian
Kann man mit Dir befreundet sein (lacht)?
Arye
Klar, zum Beispiel auf Facebook und natürlich auch im echten Leben. Und wer mein Buch liest, taucht ja auch ganz tief in meine Welt ein.
(Anm. d. Red: https://www.facebook.com/AryeSharuzShalicar/)
Christian
Arye, darf ich ein Geheimnis verraten? (lacht)
Du kennst Israel und natürlich auch die Wüste Negev wie kaum ein anderer. Aber der Israel-Trail fehlt Dir noch! Gehen wir eines Tages ein Stück zusammen raus in die Natur?
Arye
Warum nicht! Gerne begleite ich Dich aber auch ein Stück in Deiner Heimat.
Christian
Arye, ganz herzlichen Dank für dieses sehr offene und ehrliche Gespräch.
Das Buch "Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse" von Arye Sharuz Shalicar gibt es z.B. bei Amazon für 16,90 ->
Leseprobe:
In der 9. Klasse auf dem Diesterweg-Gymnasium an der Pankstraße saß ich im Unterricht neben meinem besten neuen Freund, einem Deutsch-Inder namens Mahavir. Er war für mich ein Deutsch-Inder genauso wie ich für ihn ein Deutsch-Iraner war. Wir verstanden uns wirklich ausgesprochen gut. Wie ein Bruder war er für mich, bis er mich im Deutschunterricht vollkommen überraschend und abgrundtief enttäuschte.
Wir lasen ein Buch, das zur Zeit der Naziherrschaft über Deutschland spielte. An einer bestimmten Stelle ging es um ein kleines jüdisches Mädchen, das sich vor den Nazis verstecken musste, um ihr Leben zu retten. Mahavir drehte sich zu mir um und flüsterte mir zu: „Alle Juden sollten getötet werden.“ Ich war schockiert und fragte ihn, wieso er denn so etwas sagen würde, woraufhin er mir antwortete: „Die Juden sind unsere Feinde.“ Daraufhin konnte ich nicht anders, weil ich wirklich nicht verstand, was er mit „unsere Feinde“ meinte, genauso wie ich damals nicht verstand, was meine Eltern mit „wir“ meinten, und fragte ihn: „Was meinst du mit ‚unsere Feinde‘?“
„Juden sind die Feinde von uns. Die Feinde von uns Muslimen.“
„Ich bin aber kein Muslim.“
„Wie, du bist kein Muslim? Natürlich bist du Muslim. Du bist doch Iraner.“
„Ja, meine Eltern stammen aus dem Iran. Sie sind jedoch keine Muslime, sondern Juden.“
„Das kann nicht sein. Du verarschst mich gerade. Es gibt keine iranischen Juden.“
„Oh doch. Ich bin Jude, und was du gerade gesagt hast, hat mich sehr enttäuscht.“
„Sharuz, hör auf zu spinnen. Du kannst kein Jude sein. Erstens, weil ich Juden aus der Ferne erkenne und zweitens, weil du mein Freund bist.“
„Ich werde es dir beweisen. Morgen.“
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie wir uns, falls überhaupt, an jenem Tag verabschiedeten. Ich ging niedergeschmettert nach Hause und setzte mir die goldene Davidsternkette um, die ich von meiner Großmutter bei unserem letzten Besuch in Israel geschenkt bekommen hatte. Es war ihr Geschenk zu meiner nie stattgefundenen Bar Mizwa.
Am nächsten Tag ging ich mit der Kette unter dem Pullover zur Schule, und als wir dann wieder nebeneinandersaßen, holte ich sie raus, hielt sie Mahavir vor seine Augen und sagte:
„Siehst du Mahavir, ich bin ein Jude.“
Ich konnte mitverfolgen, wie ihm das Herz in die Hose rutschte. Sein Gesichtsausdruck war die eines Menschen, der eine Leiche gesehen hatte. In jenem Moment, als ich ihm meinen Davidstern zeigte, begrub er unsere Freundschaft. Begrub er mich!
Er stammelte nur noch die folgenden Worte: „Du bist tatsächlich ein Jude. Ein echter Jude.“
Mahavir setzte sich um. Nie wieder sprach er mit mir. Wenige Monate später zogen seine Eltern mit ihm zurück nach Indien und ich sah ihn nie wieder.
Aber sein Gesichtsausdruck, als er meinen Anhänger zu Gesicht bekam, verlässt mich nicht. Es war ein bedeutender Moment, der für mich eine bittere Realität widerspiegelt. Es geht vielen Menschen, unter ihnen auch Muslime, nicht wirklich um den sogenannten Nahostkonflikt. Sie sind einfach voller Hass gegenüber den Juden erzogen worden. Wie sonst kann man sich rational erklären, dass ein 14-jähriger, in Deutschland geborener Junge, dessen Eltern aus Indien stammen, der Annahme ist, dass er Juden aus der Ferne erkennen kann und seinem besten Freund, einem Deutsch-Iraner, die Freundschaft kündigt, nur weil er Jude ist?
Der Auszug stammt aus dem Kapitel „Aggressiver muslimischer Judenhass erobert deutsche Straßen“ aus dem Buch von Arye Sharuz Shalicar: Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 2018, S. 24–30.
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung (c) Arye Sharuz Shalicar, sowie Gidon Pico, Katerina Maglogianni, LoggaWiggler, Ingeborg Kråka. Herlichen Dank an Frau Dr. Nora Pester vom Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig für die Leseprobe.
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Keywords zu diesem Israel-Trail-Beitrag:
Israel-Trail, antisemitismus, Arye Sharuz Shalicar, Israelkritik, Jüdisches Leben
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